Doch wie funktioniert diese Anrechnung? Wer ist betroffen – und welche Möglichkeiten gibt es, um die Kürzungen abzufedern?
Fast sechs Millionen erhalten Hinterbliebenenrente
Die nackten Zahlen sind beeindruckend: Zum Stichtag 31. Dezember 2024 bezogen in Deutschland 5.996.678 Menschen eine gesetzliche Hinterbliebenenrente. Dazu zählen Witwen, Witwer, Waisen und Erziehungsrentner.
- Der durchschnittliche monatliche Zahlbetrag liegt bei rund 647,88 Euro.
- Bei 3,37 Millionen Betroffenen wird die Rente ohne Einkommensanrechnung in voller Höhe ausgezahlt – sie bekommen im Schnitt 738 Euro monatlich.
- Dagegen stehen 2,62 Millionen Hinterbliebene, bei denen die Rente gekürzt wird. Im Schnitt bleiben hier nur 530 Euro übrig – 208 Euro weniger im Monat.
Diese Zahlen zeigen: Besonders für Witwen, die ohnehin oft mit knappen Budgets leben, können diese Kürzungen gravierende Folgen haben.
So funktioniert die Einkommensanrechnung
Die Einkommensanrechnung soll verhindern, dass Witwenrenten zusätzlich zum eigenen Einkommen in voller Höhe gezahlt werden. Dabei gelten bestimmte Freibeträge. Seit Juli 2025 gelten neue, leicht erhöhte Grenzen:
- Grundfreibetrag: 1.076,86 Euro netto pro Monat
- Zusatzfreibetrag pro Kind: 228,22 Euro netto pro Monat
Liegt das bereinigte Einkommen über dieser Grenze, werden 40 Prozent des übersteigenden Betrags auf die Hinterbliebenenrente angerechnet.
Beispielrechnung
Eine Witwe erhält eine Rente von 1.000 Euro monatlich und hat ein eigenes Nettoeinkommen von 3.538 Euro. Der Freibetrag liegt bei 1.076,86 Euro, also 2.461,14 Euro über der Grenze. Von diesem Betrag werden 40 Prozent abgezogen, das sind knapp 1.000 Euro – die Witwenrente wird vollständig gestrichen. Ergebnis: Nullrente.
Nullrente betrifft Hunderttausende
Laut DRV betrifft die sogenannte Nullrente inzwischen rund 538.000 Menschen. Sie haben aufgrund eigener Einkünfte – beispielsweise aus eigener Altersrente, Betriebsrente oder Arbeitseinkommen – keinen Anspruch mehr auf Witwenrente.
Besonders betroffen sind:
- Selbstständige, deren Gewinne als Einkommen angerechnet werden.
- Arbeitende Rentner, die weiterhin berufstätig sind.
- Hinterbliebene mit höheren Betriebsrenten.
Hinzu kommt: Durch neue Urteile des Bundessozialgerichts können steuerliche Verlustvorträge nicht mehr als einkommensmindernd angerechnet werden. Für viele bedeutet das: hohe Rückforderungen.
Kritik an den Kürzungen
Sozialverbände kritisieren die Regelung scharf. Hinterbliebene, die eigenes Einkommen erzielen, dürfen nicht dafür bestraft werden, so der Tenor. Statt Anrechnungen brauche es realistische Freibeträge, die der aktuellen Lebenssituation gerecht werden.
Viele Betroffene berichten, dass die Kürzungen erst Monate später auffallen, oft dann, wenn es zu Nachforderungen kommt. Besonders problematisch: Die Hinterbliebenenrente gilt für viele als wichtigste Absicherung im Alter – fällt sie weg, droht schnell Altersarmut.
Geplante Änderungen
Im Koalitionsvertrag der Regierung unter Friedrich Merz ist eine Reform der Einkommensanrechnung angekündigt. Diskutiert werden:
- Höhere Freibeträge, angepasst an die Inflation.
- Flexiblere Modelle, bei denen nicht jedes Einkommen in die Anrechnung fällt.
- Bessere Informationspflichten, um Betroffene frühzeitig zu warnen.
Konkrete Gesetzesänderungen sind jedoch noch nicht verabschiedet. Experten rechnen frühestens 2026 mit spürbaren Anpassungen.
So können Betroffene reagieren
Bis zur geplanten Reform müssen Witwen und Witwer selbst aktiv werden. Experten empfehlen folgende Schritte:
- Einkommenslage prüfen: Ein Überblick über alle Einkünfte, einschließlich Betriebsrenten oder Nebenjobs, ist Pflicht.
- Beratung einholen: Sowohl bei der DRV als auch bei unabhängigen Rentenberatern können individuelle Berechnungen helfen.
- Steuerliche Aspekte klären: Wer eine Betriebsrente bezieht, sollte prüfen, ob Optimierungen möglich sind.
- Finanzielle Planung anpassen: Bei drohenden Kürzungen rechtzeitig Rücklagen bilden.
Fazit
Der aktuelle Renten-Schock zeigt, wie dringend Nachbesserungen bei der Einkommensanrechnung nötig sind. Für mehr als 750.000 Witwen und Witwer bedeutet die Kürzung spürbare Einbußen von durchschnittlich 208 Euro im Monat. Wer gar in die Nullrente rutscht, verliert eine der wichtigsten finanziellen Säulen im Alter.
Ohne schnelle politische Reformen könnte sich diese Situation in den kommenden Jahren weiter verschärfen – mit teils dramatischen Folgen für die soziale Absicherung vieler Familien in Deutschland.