Was als „kurze Störung“ begann, entwickelte sich innerhalb weniger Stunden zu einer globalen Kettenreaktion: von Streaming-Diensten über Online-Banking bis hin zu Bezahlplattformen. Selbst große Unternehmen wie Lloyds Bank, Snapchat, Disney+ und Coinbase waren betroffen.
Der Vorfall legt ein strukturelles Problem offen, das seit Jahren bekannt ist – aber selten so sichtbar wurde: die weltweite Abhängigkeit von wenigen Cloud-Giganten.
Der Auslöser: Ein DNS-Fehler mit Dominoeffekt
Laut Amazon war die Ursache des Ausfalls eine Störung in der US-EAST-1-Region, einem der wichtigsten Rechenzentren des Unternehmens.
Ein Problem bei der sogenannten DNS-Auflösung – der Übersetzung von Domainnamen in IP-Adressen – führte dazu, dass Server weltweit plötzlich nicht mehr erreichbar waren.
Diese Art von Fehler mag technisch banal klingen, hat aber enorme Konsequenzen: Wenn DNS-Server ausfallen, „findet“ das Internet buchstäblich seine eigenen Dienste nicht mehr.
Die Folgen: Banking, Behörden, Alltag
Der Ausfall traf nicht nur soziale Netzwerke, sondern auch kritische Infrastrukturen.
In Großbritannien meldeten Lloyds Bank, Halifax und Bank of Scotland Ausfälle im Online-Banking.
Die britische Steuerbehörde HMRC bestätigte Störungen ihrer Online-Dienste.
Auch Postfilialen konnten zeitweise keine Amazon Click & Collect-Pakete oder Payzone-Aufladungen für Energieprepaidkarten** verarbeiten.
Solche Dienste basieren auf Cloud-Systemen, die über AWS kommunizieren. Wenn diese Kommunikation gestört ist, steht der Betrieb still.
Ein strukturelles Risiko: Drei Firmen kontrollieren das Internet
Rund 60 Prozent der globalen Cloud-Infrastruktur liegen heute in den Händen von drei Unternehmen: Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure und Google Cloud.
Allein AWS hält nach Angaben von HG Insights etwa 30 Prozent Marktanteil. Millionen Firmen – von Start-ups über Streamingdienste bis hin zu Banken – verlassen sich auf dieselben Rechenzentren.
Das macht Cloud-Anbieter zu kritischen Infrastrukturen, vergleichbar mit Stromnetzen oder Verkehrsadern.
Fällt ein Anbieter aus, kann das ganze Volkswirtschaften treffen.
Es ist paradox: Die Cloud soll Systeme skalierbarer und sicherer machen – aber sie schafft eine neue Form der Monokultur. Ein Fehler in Virginia kann plötzlich den Handel in London, Berlin oder São Paulo beeinflussen.
Wiederkehrende Vorfälle – und die Lehren daraus
Der AWS-Ausfall reiht sich in eine Liste großer Systemstörungen ein:
- 2024: Ein fehlerhaftes Sicherheitsupdate des Unternehmens CrowdStrike führte zu weltweiten Systemabstürzen.
- 2021: Meta-Dienste wie Facebook und WhatsApp waren sechs Stunden offline – wegen eines fehlerhaften Routings.
- 2020: Google kämpfte mit einem internen Speicherproblem, das Gmail und YouTube lahmlegte.
Diese Ereignisse zeigen, dass die technologische Konzentration Risiken schafft, die bisher kaum reguliert oder abgesichert sind.
Laut einer Studie des europäischen IT-Sicherheitsrats (ENISA) fehlt in vielen Staaten ein Notfallplan für großflächige Cloud-Ausfälle. Nur wenige Regierungen haben Szenarien entwickelt, um kritische Dienste bei einem längerfristigen Cloud-Versagen aufrechtzuerhalten.
Was sich ändern muss
Die Lösung liegt nicht in der Abkehr von Cloud-Systemen – sondern in ihrer Diversifizierung und Regulierung.
- Mehrere Cloud-Anbieter parallel nutzen: Unternehmen sollten nicht nur auf einen Anbieter setzen („Multi-Cloud-Strategie“).
- Transparenzpflichten: Anbieter sollten verpflichtet werden, ihre Ausfallsicherheit offen zu legen.
- Geografische Redundanz: Daten sollten in mehreren Regionen gespiegelt werden, um regionale Fehler abzufangen.
- Politische Kontrolle: Große Cloud-Anbieter könnten künftig als „kritische Infrastruktur“ reguliert werden – ähnlich wie Energie- oder Telekommunikationsnetze.
Solche Ereignisse werden künftig häufiger auftreten, einfach weil die Komplexität zunimmt. Wir müssen lernen, resilienter damit umzugehen.
Fazit
Der AWS-Ausfall 2025 war kein Angriff, kein Hackerangriff, keine Sabotage – sondern ein technischer Fehler.
Doch er hat gezeigt, wie verwundbar das Fundament des digitalen Zeitalters ist.
Was heute als Cloud-Komfort gilt, könnte morgen ein globales Risiko werden.
Und vielleicht ist genau das die wichtigste Lehre aus diesem Vorfall: Technologische Zentralisierung ist bequem – aber gefährlich.