Kretschmann fordert mehr Arbeit und stützt Kanzler Merz
Vor der Kulisse des Stuttgarter Fernsehturms fand der 77-jährige Regierungschef im Gespräch mit SWR-Moderatorin Stephanie Haiber deutliche Worte. „Wenn etwa die Chinesen jetzt einfach besser geworden sind und uns auf Augenhöhe angreifen und mehr arbeiten wie wir, dann ist ja klar, es muss ein Ruck durch diese Gesellschaft gehen. In dieser Delle muss man zupacken und ranklotzen“, so Kretschmann.
Mit dieser Forderung stellt er sich hinter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der kürzlich eine „gewaltige Kraftanstrengung“ zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit angemahnt hatte. Es sei notwendig, „wieder mehr und vor allem effizienter“ zu arbeiten. Kretschmann präzisierte jedoch, dass sein Appell differenziert zu verstehen sei: „Wir müssen intelligent mehr arbeiten, natürlich nur die, die es können.“ Er nahm explizit Personen aus, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder bereits überlastet sind. Seine Forderung begründete er mit der Aussage: „Wir haben die geringste Jahresarbeitszeit aller Industrienationen.“ Diese Einschätzung gilt in der Wirtschaftsforschung allerdings als umstritten.
Wirtschaft in der „Zangensituation“
Der Ministerpräsident, der nach der Landtagswahl im Frühjahr abtreten wird, zeichnete ein ernstes Bild der wirtschaftlichen Lage. Insbesondere die Automobilindustrie stehe „schwer unter Druck“. Sie befinde sich in einer „Zangensituation“, eingeklemmt zwischen China, das technologisch aufgeholt habe und „nicht immer fair“ agiere, und den USA, wo Präsident Donald Trump die deutsche Industrie mit „gigantischen Zöllen“ belege.
Die angekündigten Stellenstreichungen in der Branche sorgen für eine nachvollziehbare Unruhe. „Die Unruhe ist verständlich“, sagte Kretschmann. Eine genaue Prognose über den Weg aus der Krise wagte er nicht, stellte aber klar, dass die Branche zunächst schrumpfen werde. Die Lösung liege in den ureigenen Stärken Baden-Württembergs: „Kreativ sein, innovativ sein, an der Spitze des Fortschritts sozusagen stehen.“
Innovationskraft als Chance für die Zukunft
Trotz des Drucks auf das baden-württembergische Geschäftsmodell als führende Exportregion Europas zeigte sich Kretschmann zuversichtlich. Die Aufgabe der Landesregierung sei es, die Rahmenbedingungen für Innovationen zu schaffen. „Wir sind auf der Höhe von Kalifornien und Massachusetts. Also unsere Innovationskraft ist ungebrochen“, betonte der Ministerpräsident. Darin liege die Chance, wieder an die Spitze zu gelangen, auch wenn das bisherige Volumen möglicherweise nicht mehr erreicht werde. Die Erschließung neuer Märkte, wie beispielsweise in Indien, sei dabei ein wichtiger Schritt.
Im Hinblick auf den Klimaschutz und das von der EU für 2035 geplante Aus für neue Verbrennungsmotoren sprach sich Kretschmann für einen technologieoffenen Ansatz aus. „Wir sind da technologieoffen“, sagte er und betonte, dass der Umstieg auf klimaneutrale Antriebe schrittweise erfolgen müsse, wobei die Batterieelektrik für Pkw die wahrscheinlichste Lösung sei.
Stabilität der Koalition und persönliche Bilanz
Trotz eines raueren Tons in der grün-schwarzen Koalition sieht Kretschmann die Stabilität des Bündnisses nicht gefährdet. Meinungsverschiedenheiten seien Teil der Demokratie. „Wichtig ist, dass man sich nicht zerstreitet und am Ende wieder zusammenfindet, gute Kompromisse macht. Dafür sorge ich, soweit es in meiner Macht steht.“ Er werde alles daransetzen, die Arbeitsfähigkeit der Regierung bis zum letzten Tag zu gewährleisten.
Dass er am 8. August zum am längsten amtierenden Ministerpräsidenten Baden-Württembergs aufsteigen und damit seinen „geschätzten Vorgänger Erwin Teufel“ (CDU) überholen wird, sei ihm persönlich nicht das Wichtigste. Vielmehr berühre es ihn, dass die Bürgerinnen und Bürger ihm bei zwei weiteren Wahlen nach seinem ersten Sieg, der von der Atomkatastrophe in Fukushima beeinflusst war, erneut ihr Vertrauen geschenkt haben. „Das berührt mich schon“, so Kretschmann.
