Düstere Aussichten

Universität Hohenheim: Simulation zeigt – Insektensterben könnte Europa bis 2030 rund 24 Milliarden Euro kosten

Ein großflächiges Verschwinden wilder Bestäuber hätte dramatische Folgen – nicht nur für die Natur, sondern auch für unsere Wirtschaft und Ernährung. Forschende der Universität Hohenheim in Stuttgart haben in einer neuen Simulation berechnet, welche Auswirkungen ein solcher Insektenrückgang auf Erträge, Preise, Handel und Ernährungssicherheit hätte.
Universität Hohenheim: Simulation zeigt – Insektensterben könnte Europa bis 2030 rund 24 Milliarden Euro kosten
Universität Hohenheim: Simulation zeigt – Insektensterben könnte Europa bis 2030 rund 24 Milliarden Euro kosten
Foto: insidebw.de / AI

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Das Ergebnis ist alarmierend: Ein wirtschaftlicher Verlust von rund 24 Milliarden Euro allein in Europa, ein weltweiter Schaden von mehr als 34 Milliarden Euro und eine spürbare Verschlechterung der Versorgung mit wichtigen Nährstoffen wie Vitamin A und Folat.

Wildbestäuber sind unersetzlich – und vom Aussterben bedroht

Bienen, Hummeln, Schwebfliegen und andere wildlebende Insekten tragen entscheidend zur Bestäubung vieler Kulturpflanzen bei. Ohne sie würden die Erträge von Obst, oder Ölsaaten dramatisch sinken. In ihrer Studie im Fachjournal Nature Communications haben die Hohenheimer Forschenden untersucht, was passiert, wenn bis 2030 90 Prozent der Wildbestäuber verschwinden – ein Szenario, das zwar extrem, aber nicht ausgeschlossen ist.

„Das Ergebnis zeigt, wie eng ökologische und ökonomische Stabilität miteinander verknüpft sind“, erklärt Professor Arndt Feuerbacher, Leiter der Studie. „Ein Zusammenbruch der Wildbestäuberpopulationen würde ganze Wertschöpfungsketten ins Wanken bringen.“

Landwirtschaftliche Erträge brechen ein – Preise steigen

Laut Simulation der Universität Hohenheim würde die landwirtschaftliche Produktion in Europa im Durchschnitt um vier Prozent sinken, bei stark bestäuberabhängigen Kulturen sogar um bis zu 20 Prozent. Besonders betroffen wären Länder in Ost- und Südeuropa, wo der Anbau von Obst, Gemüse und Ölsaaten eine zentrale wirtschaftliche Rolle spielt.

Die Folgen wären deutlich spürbar:

  • Steigende Lebensmittelpreise in der gesamten EU
  • Rückgang der Produktverfügbarkeit bei frischen Lebensmitteln
  • Ungleichgewicht auf den globalen Märkten, da Europa vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur würde

„Asien sowie Mittel- und Südamerika könnten zwar einen Teil der zusätzlichen Nachfrage decken, aber die weltweiten Verbraucher:innen würden durch höhere Preise belastet“, so Feuerbacher.

Gefährdete Ernährungssicherheit in Europa

Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen würde das Insektensterben auch die Ernährungssicherheit bedrohen. Wildbestäubte Pflanzen liefern wichtige Vitamine und Mineralstoffe. Laut der Simulation würde in der EU die Verfügbarkeit von Vitamin A um 3,7 Prozent sinken.

„In Europa sind laut Welternährungsorganisation bereits rund 58 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen“, warnt Professorin Christine Wieck, Mitautorin der Studie und Leiterin des Fachgebiets Agrar- und Ernährungspolitik an der Universität Hohenheim. „Das Verschwinden der Bestäuber würde die Situation weiter verschärfen – insbesondere in Süd- und Osteuropa.“

Wirtschaftlicher Schaden: 24 Milliarden Euro in Europa

Der ökonomische Verlust wäre gewaltig. Für 2030 prognostiziert das Forschungsteam einen gesamtwirtschaftlichen Schaden von rund 24 Milliarden Euro in Europa – und über 34 Milliarden Euro weltweit. Betroffen wären nicht nur Landwirtinnen und Landwirte, sondern auch Verbraucher:innen, Handelsunternehmen und ganze Volkswirtschaften.

Zudem würde der Rückgang wilder Bestäuber zu Handelsverschiebungen führen. Die EU müsste mehr Agrarprodukte importieren, was wiederum die Preise auf dem Weltmarkt steigen ließe.

Politische Widersprüche beim Schutz der Biodiversität

Die Studie der Universität Hohenheim zeigt auch eine politische Dimension: Länder, die besonders stark von einem Bestäuberverlust betroffen wären, zeigen oft weniger Unterstützung für EU-Verordnungen zum Biodiversitätsschutz, etwa das Nature Restoration Law oder die Sustainable Use Regulation.

„Die wirtschaftlichen Kosten des Verschwindens wilder Bestäuber sind besonders hoch in Ländern, deren EU-Abgeordnete gegen diese Verordnungen gestimmt haben“, betont Feuerbacher. „Hier besteht erheblicher Forschungs- und Handlungsbedarf.“

Insekten schützen – sichern

Die Forschenden machen deutlich, dass Wildbestäuber nicht einfach durch Honigbienen oder Technik ersetzt werden können. Ihr Schutz sei daher nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit.

„Wenn Europa auch nur einen Bruchteil der 24 Milliarden Euro jährlich in eine biodiversitätsfreundliche Landwirtschaft investieren würde, könnten wir die Folgen des Insektenrückgangs abmildern oder sogar umkehren“, so Feuerbacher. Maßnahmen wie Blühstreifen, Hecken und extensiv genutzte Flächen seien kosteneffektiv und langfristig ertragsstabilisierend.

Das Modell hinter der Analyse

Für die Simulation nutzte das Team das agrarökonomische Modell CAPRI, das Angebot, Nachfrage und von rund 50 landwirtschaftlichen Produkten weltweit abbildet. Es berücksichtigt Wechselwirkungen zwischen regionaler Landwirtschaft und globalen Märkten und unterscheidet klar zwischen wildlebenden und bewirtschafteten Bestäubern.

Professor Johannes Steidle, Experte für Chemische Ökologie an der Universität Hohenheim, fasst zusammen:

„Unser Szenario verdeutlicht, wie teuer das Verschwinden der Wildbestäuber für uns alle werden könnte – ökologisch, ökonomisch und sozial.“

Publikation: Feuerbacher, A., Kempen, M., Steidle, J.L.M. et al. The economic, agricultural, and food security repercussions of a wild pollinator collapse in Europe. Nature Communications 16, 9892 (2025).
doi.org/10.1038/s41467-025-65414-7

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