Baden-Württemberg mischt in EU-Strategiedialog mit
Mit einem eigenen 10-Punkte-Plan will Baden-Württemberg Einfluss auf die zukünftige Ausrichtung der Automobilbranche in Europa nehmen. Das Papier wurde im Rahmen des neu gestarteten Strategiedialogs der Europäischen Kommission unter Leitung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Stellvertreter Thomas Strobl machten in Brüssel deutlich, dass dringend gehandelt werden müsse, um den Automobilstandort Deutschland und Europa nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen.
Ein zentraler Punkt des baden-württembergischen Vorstoßes ist die Forderung nach einer sofortigen Überprüfung der CO₂-Flottenziele für Pkw und Nutzfahrzeuge. Zudem plädiert die Landesregierung für eine vorübergehende Aussetzung möglicher Strafzahlungen, um den Herstellern mehr Zeit für den Transformationsprozess zu geben. Auch der Ausbau der Lade- und Wasserstoff-Tankinfrastruktur müsse deutlich beschleunigt werden, ebenso wie Maßnahmen zur Senkung der Strompreise an den Ladesäulen.
Ministerpräsident Kretschmann betonte: „Wir müssen in Europa den Binnenmarkt stärken und auf Innovationen setzen. Das vernetzte Auto der Zukunft muss in Europa und Baden-Württemberg vom Band rollen. Automobilwirtschaft und Politik tragen beide eine große Verantwortung dafür, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Elektromobilität zu stärken.“
Elektromobilität: Ausbau stockt, Vertrauen fehlt
Der Verkauf von Elektroautos kommt in Deutschland und großen Teilen Europas nicht so schnell voran wie erhofft. Während China den Markt für Elektromobilität dominiert, liegen die Absatzzahlen in Europa unter den Erwartungen. Hohe Strompreise, ein noch immer lückenhaftes Ladenetz und Unsicherheiten bei der Förderung bremsen viele potenzielle Käufer aus.
Baden-Württemberg fordert deshalb von der EU Maßnahmen zur besseren Steuerung der Marktbedingungen. Neben steuerlichen Anreizen für Verbraucher solle ein reduzierter Strompreis an Ladesäulen für mindestens zehn Jahre garantiert werden. Zudem müsse die EU gegen drohende Handelskonflikte mit den USA und China vorgehen, um europäische Hersteller zu schützen.
„Wir müssen alles daransetzen, den Hochlauf der Elektromobilität zu beschleunigen und die notwendigen Rahmenbedingungen dafür auf europäischer Ebene bereitstellen“, erklärte Kretschmann weiter. Ein verlässliches Netz an Ladesäulen mit attraktiven Preisen sei entscheidend, um mehr Verbraucher für den Umstieg auf E-Mobilität zu gewinnen.
Handelskonflikte und internationale Konkurrenz setzen Branche unter Druck
Ein weiteres Problem: Die Konkurrenz aus Asien holt in Sachen Elektromobilität rasant auf und bedroht die Marktanteile europäischer Hersteller. Insbesondere chinesische Autobauer drängen mit günstigeren Modellen auf den europäischen Markt, während gleichzeitig neue Handelskonflikte drohen.
Thomas Strobl warnte: „Wir sind die Wiege des Automobils. Autos made in Germany waren seit jeher mit die besten, sichersten und innovativsten der Welt. Das darf nicht nur Bilanz vergangener Zeiten, sondern muss auch der Anspruch für die Zukunft sein.“
Baden-Württemberg setzt sich daher für eine Stärkung des freien Handels sowie den Abschluss neuer Handelsabkommen ein. Strafzölle auf chinesische Importe sollten laut dem 10-Punkte-Papier nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Stattdessen müsse die EU verstärkt auf faire Wettbewerbsbedingungen drängen und bilaterale Handelsverträge ausbauen.
Bürokratieabbau und Innovationsförderung gefordert
Ein weiterer Kritikpunkt der baden-württembergischen Landesregierung ist die ausufernde Bürokratie in Europa. Genehmigungsverfahren für neue Produktionsstätten oder Ladeinfrastruktur dauerten viel zu lange und behinderten den dringend benötigten Umbau der Industrie.
Deshalb fordert das 10-Punkte-Papier eine radikale Vereinfachung von Vorschriften und eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Zudem brauche es gezielte Förderprogramme für kleine und mittelständische Unternehmen, die in neue Technologien investieren.
Kretschmann erklärte: „Europa muss insgesamt einfacher, schneller, dynamischer werden.“
Technologieoffenheit als Schlüssel für die Zukunft
Ein weiterer Streitpunkt in der europäischen Automobilpolitik ist die Frage nach der zukünftigen Antriebstechnologie. Während viele EU-Staaten auf reine Elektromobilität setzen, plädiert Baden-Württemberg für einen technologieoffenen Ansatz.
Laut dem 10-Punkte-Plan müssen erneuerbare Kraftstoffe weiterhin eine Rolle spielen, insbesondere für den Luft- und Schiffsverkehr sowie Bestandsflotten. Auch Wasserstoff als alternativer Antrieb müsse stärker gefördert werden.
„Eine gute Regulierung für klimaneutrale Mobilität setzt auf Technologieoffenheit“, heißt es in dem Papier. Die Bundesregierung und die EU sollten daher gezielte Förderprogramme für synthetische Kraftstoffe auflegen und regulatorische Hürden abbauen.
Zukunft der Automobilindustrie entscheidet über Europas Wohlstand
Die Bedeutung der Automobilbranche für den Wirtschaftsstandort Europa kann kaum überschätzt werden. In Deutschland hängen Millionen Arbeitsplätze direkt oder indirekt an der Automobilindustrie, von großen Herstellern bis hin zu kleineren Zulieferern.
Baden-Württemberg sieht daher dringenden Handlungsbedarf, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Der EU-Strategiedialog soll helfen, neue Maßnahmen zu entwickeln und die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Kretschmann machte deutlich: „An der Automobilwirtschaft wird sich exemplarisch zeigen, wie es mit der europäischen Wirtschaft in den kommenden Jahren weitergeht.“
Baden-Württemberg will sich mit seinem Netzwerk des Strategiedialogs aktiv in die europäische Diskussion einbringen und fordert, dass auch die europäischen Automobilregionen eine größere Rolle im Entscheidungsprozess spielen.
Fazit: Baden-Württemberg setzt auf Europa – aber mit klaren Forderungen
Die baden-württembergische Landesregierung sieht den neu gestarteten Strategiedialog als Chance, die Weichen für eine zukunftssichere Automobilindustrie in Europa zu stellen. Dabei setzt sie auf klare Forderungen: Bürokratieabbau, niedrigere Strompreise, technologieoffene Antriebskonzepte und eine Stärkung des freien Handels.
Ob die Europäische Kommission die Vorschläge aus Stuttgart aufgreifen wird, bleibt abzuwarten. Doch eines steht fest: Der Druck auf die Automobilbranche wächst – und Europa muss Antworten finden, um im internationalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten.