Der scheidende Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat vor öffentlicher Kritik an China gewarnt.
„Es ist ein Lehrsatz der alten Diplomatenschule: Große Mächte reagieren empfindlich auf öffentliche Belehrungen“, sagte Ischinger der „Welt am Sonntag“. Der erfahrene Diplomat fügte hinzu: „Es ist in der Diplomatie oft sinnvoll, Kritik zunächst vertraulich zu adressieren.“ Diese Herangehensweise soll Missverständnisse vermeiden und den direkten Dialog fördern, um langfristige diplomatische Beziehungen nicht unnötig zu belasten. Ischinger betonte die Notwendigkeit, sensible Themen abseits der öffentlichen Bühne zu behandeln, um konstruktive Lösungen zu ermöglichen.
Die Äußerungen Ischingers erfolgen im Kontext einer jüngsten Absage einer China-Reise durch Außenminister Johann Wadephul (CDU). Wadephul hatte seine Reise Pläne aufgrund Pekings mangelnder Gesprächsbereitschaft revidiert. Zuvor hatte der Außenminister die chinesische Unterstützung des russischen Kriegs in der Ukraine sowie Pekings Aktivitäten im Indopazifik öffentlich kritisiert. Ischinger schätzte die Absage allerdings als „eher als kleinen Verkehrsunfall“ ein. „Irritationen lassen sich korrigieren, China hat an Deutschland und an Europa weiter ein erhebliches Interesse. Das beruht auf Gegenseitigkeit“, so Ischinger. Diplomatische Beziehungen seien oft von temporären Spannungen geprägt, die durch besonnenes Handeln überwunden werden könnten.
Der Diplomat appellierte zudem an die Europäische Union, mehr Geschlossenheit gegenüber China zu zeigen. „Europa spricht zu oft mit 27 Stimmen. Aus Sicht Pekings sind wir dann 27 Zwergstaaten, Deutschland der mit der größten Mütze. Wir brauchen eine gemeinsame strategische Zielsetzung“, forderte Ischinger. Eine Fragmentierung der europäischen Stimmen schwäche die Verhandlungsposition der EU und mache eine effektive und kohärente Chinapolitik schwierig. Er forderte eine stärkere Koordination und eine gemeinsame Vision, um als ernstzunehmender Partner wahrgenommen zu werden.
Gleichzeitig mahnte Ischinger die Bundesregierung und deutsche Unternehmen an, die Abhängigkeiten von China schneller zu reduzieren. Dieser Prozess gehe seiner Meinung nach nur langsam voran, da man es sich zu lange bequem gemacht habe. „Es ist falsch, einfach nur China zu verteufeln, weil wir abhängig geworden sind. Wir haben uns freiwillig abhängig gemacht – weil es billiger war“, erklärte Ischinger. Er betonte, dass es jetzt um Diversifizierung gehe, nicht um eine vollständige Abkopplung. „Dafür braucht es unternehmerische Entscheidungen und bei strategischen Gütern wie seltenen Erden auch staatliche Flankierung, sprich Förderung.“ Die Notwendigkeit, Lieferketten zu diversifizieren und strategische Autonomie zu stärken, sei eine Lehre aus globalen Krisen und geopolitischen Spannungen.
(Mit Material der dts Nachrichtenagentur erstellt)
