Baden-Württemberg: Jeder Zweite überfordert.

Studie zeigt: Ärzte-Jargon, Google-Diagnose – Warum wir bei Gesundheitsthemen so oft daneben liegen

Haben Sie schon einmal nach einem Arztbesuch das Gefühl gehabt, nur die Hälfte verstanden zu haben? Oder stundenlang Symptome gegoogelt, nur um am Ende verwirrter zu sein als zuvor? Wenn ja, sind Sie nicht allein. Eine neue, repräsentative Studie des Bosch Health Campus zeichnet ein düsteres Bild für Baden-Württemberg: 54,7 Prozent der Erwachsenen – also mehr als jeder Zweite – besitzen nur eine geringe Gesundheitskompetenz.
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Bild: insidebw.de / AI

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Dieser Weckruf zeigt, dass es ein tiefgreifendes Problem gibt, das weit über Fachchinesisch hinausgeht. Es geht um die grundlegende Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und für die eigene Gesundheit anzuwenden.

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Das Kernproblem: Zwischen Unverständnis und Unsicherheit

Die Studie, die als Teil des umfassenden „ Literacy Survey Germany“ (HLS-GER 3) durchgeführt wurde, legt die Finger schonungslos in die Wunde. Besonders dramatisch sind die Defizite, wenn es darum geht, die Vertrauenswürdigkeit von Informationen zu beurteilen:

  • Bewertung von Behandlungen: Fast drei Viertel (73 %) der Befragten haben erhebliche Schwierigkeiten zu entscheiden, ob sie einer medizinischen Behandlung zustimmen oder sie ablehnen sollen.
  • Medienskepsis fehlt: Eine fast ebenso große Gruppe (72 %) kann nur schwer einschätzen, ob Gesundheitsinformationen aus den Medien vertrauenswürdig sind.

Diese Zahlen zeigen eine massive Unsicherheit. In einer Welt voller widersprüchlicher Gesundheitsratschläge – von Social-Media-Trends bis zu wissenschaftlichen Studien – fehlt vielen Menschen der Kompass, um verlässliche von irreführenden Informationen zu unterscheiden.

Wer ist am stärksten betroffen? Eine Frage der sozialen Gerechtigkeit

Die mangelnde Gesundheitskompetenz ist kein Problem, das alle gleichermaßen trifft. Die Studie identifiziert klare Risikogruppen, bei denen die Defizite besonders ausgeprägt sind:

  • Menschen mit niedrigem Bildungs- und Sozialstatus
  • Ältere Menschen
  • Chronisch Erkrankte
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In diesen Bevölkerungsgruppen liegt der Anteil derjenigen mit geringer Gesundheitskompetenz teilweise bei über 75 Prozent. „Gesundheitskompetenz ist kein Privileg, sondern eine Grundvoraussetzung für Prävention, Teilhabe und Selbstbestimmung“, betont Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, Geschäftsführer des Bosch Health Campus. Die Ergebnisse sind für ihn ein klarer Handlungsauftrag.

Die „Blackbox“ Gesundheitssystem: Über 80 Prozent fühlen sich verloren

Ein besonders erschreckendes Ergebnis offenbart die Studie bei der sogenannten navigationalen Gesundheitskompetenz. Damit ist die Fähigkeit gemeint, sich im komplexen deutschen Gesundheitssystem zurechtzufinden. Hier haben über 80 Prozent der Befragten massive Schwierigkeiten. Fragen wie „Welche Rechte habe ich als Patient?“, „Wo finde ich Unterstützungsangebote?“ oder „Wie funktioniert dieses System überhaupt?“ bleiben für die große Mehrheit unbeantwortet.

Prof. Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld, die das Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung leitet, bringt es auf den Punkt: „Für weite Teile der Bevölkerung stellt das Gesundheitssystem bis heute eine ‚Blackbox‘ dar.“

Digitale Welt, analoge Fähigkeiten: Online lauern die größten Fallen

Auch im digitalen Raum sind die Kompetenzen schwach ausgeprägt. Zwei Drittel (66 %) der Befragten können mit digitalen Gesundheitsinformationen nur unzureichend umgehen. Das betrifft vor allem die Bewertung der Vertrauenswürdigkeit und von Online-Quellen – eine Fähigkeit, die im Zeitalter von KI-gestützten Diagnosetools und Gesundheits-Influencern wichtiger ist als je zuvor.

Die Konsequenz: Ein Teufelskreis aus schlechterer Gesundheit und höheren Kosten

Die Defizite bleiben nicht ohne Folgen. Die Studie zeigt einen klaren Zusammenhang: Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz berichten nicht nur über einen schlechteren Gesundheitszustand, sie zeigen auch ein riskanteres Gesundheitsverhalten. Sie bewegen sich seltener, essen weniger Obst und und nehmen das Gesundheitssystem häufiger in Anspruch – was zu mehr Arztbesuchen, Krankenhausaufenthalten und Notfallbehandlungen führt.

„Es braucht gezielte Innovationen und sektorenübergreifende Anstrengungen, um alle Menschen – unabhängig von Alter, Bildung oder sozialem Status – dazu zu befähigen, informierte Gesundheitsentscheidungen zu treffen“, so Dr. Katja Vonhoff vom Bosch Health Campus.

Die Studie ist mehr als nur eine Datenerhebung. Sie ist ein Appell, Gesundheitsbildung endlich ernst zu nehmen und ein System zu schaffen, das den Menschen dient – und nicht umgekehrt.

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