Geboren am 17. Januar 1867 in Laupheim, etwa 20 Minuten von Ulm entfernt, war Carl das zehnte von elf Kindern einer jüdischen Kaufmannsfamilie und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Mehrere seiner Geschwister verstarben bereits in jungen Jahren. Mit 13 Jahren erlitt Carl einen tiefgreifenden Verlust, als seine Mutter Gertrude verstarb, ein Schicksalsschlag, der ihn sein Leben lang prägen sollte.
Auf den Spuren des „American Dream“
Im Alter von 17 Jahren wagte Carl Laemmle, wie viele andere Deutsche, den mutigen Schritt in ein neues Leben. Im Jahr 1884, mit lediglich 50 Dollar in der Tasche, verließ er sein Heimatdorf in Oberschwaben, um in den Vereinigten Staaten sein Glück zu suchen. Er folgte damit dem von Johann Jakob Astor aus Heidelberg begründeten „American Dream“. Am 13. Februar desselben Jahres setzte er, nach einer Fahrt Auswandererschiffs Neckar, seinen Fuß auf im Hafen von New York auf amerikanischen Boden.
Hier stand er vor der gewaltigen Aufgabe, sich ein neues Leben aufzubauen. Mit Einfallsreichtum und einer gehörigen Portion Entschlossenheit nahm er jede Arbeit an, die er finden konnte. Sein Weg führte ihn von Tätigkeiten als Laufbursche und Hoteldiener über Anstreicher bis hin zum Botenjungen. Doch Laemmle war nicht nur fleißig, sondern auch zielstrebig und lernbegierig. Seine Karriere nahm Fahrt auf, als er in Ohio und später in Chicago als Buchhalter und Geschäftsführer arbeitete, wo er wertvolle Fähigkeiten erwarb und beruflich stetig vorankam. Doch hinter all diesen Bemühungen verbarg sich ein größerer Traum: Carl Laemmle strebte danach, eine bedeutende Rolle in der aufkeimenden Filmindustrie zu spielen.
Von Nickelodeons zum Studio-Giganten: der Weg an die Spitze von Hollywood
Im Jahr 1906, als Carl Laemmle 39 Jahre alt war und kurz davor stand, das sprichwörtliche „Schwabenalter“ zu erreichen, in dem man sagt, dass ein Schwabe weise wird, wagte er einen entscheidenden Schritt. Mit all seinen Ersparnissen eröffnete er in Chicago sein erstes „Nickelodeon“, ein kleines Kino, das für fünf Cent Stummfilme zeigte. Dies war sein Start in die damals noch in den Kinderschuhen steckende Filmindustrie. Bereits zwei Jahre später führte er die größte Filmverleihfirma in den USA. Doch das war erst der Anfang. Der stetig wachsende Hunger nach neuen Filmen stellte ihn vor weitere Herausforderungen.
Die Gründung von Universal City: Ein visionäres Projekt
1912 unternahm Laemmle dann einen bahnbrechenden Schritt: Seine Independent Motion Picture Company fusionierte mit anderen Firmen zur Universal Film Manufacturing Company, die wir heute als Universal Pictures kennen. Kurz darauf verlagerte er deren Produktion nach Kalifornien, wo auf dem Gelände einer ehemaligen Hühnerfarm nahe Los Angeles die Universal City Studios entstanden. Laemmle schuf nicht nur ein Filmstudio nein, er baute eine komplette Filmstadt auf. Mit allem, was dazu gehört – Postamt, Feuerwehr, Krankenhaus, Schule, Restaurants für Filmcrews und Besucher, eine eigene Polizei und sogar einen Zoo für Tiereinsätze – es fehlte an nichts. Es war die Geburtsstunde eines der größten Hollywood-Studios und diente als Vorlage für alle zukünftigen Filmstudios.
„Blockbuster“ der frühen Kinoära
Laemmle hatte ein untrügliches Gespür für das Potenzial des Spielfilms und setzte früh auf die Anziehungskraft von Stars. Er entdeckte und förderte Schauspieltalente wie Lon Chaney und Mary Pickford, die zu den ersten großen Namen des Kinos wurden. Sein Engagement für aufwendige Produktionen und sein Gespür für das, was das Publikum sehen wollte, brachten Universal Pictures an die Spitze der Filmindustrie. Filme wie „Der Glöckner von Notre Dame“ (1923) und „Das Phantom der Oper“ (1925) ebneten den Weg für das moderne Kino, während „Im Westen nichts Neues“ (1930) mit seiner beeindruckenden Darstellung neue Maßstäbe setzte und Universals Ruf als eines der innovativsten Studios festigte.
Die Geburt der Universal Monsters: Ein neues Genre entsteht
Besonders hervorzuheben ist Laemmles Beitrag zur Einführung der legendären „Universal Monsters „, die bis heute Kultstatus genießen. Mit Meisterwerken wie „Dracula“ (1931) und „Frankenstein“ (1931), die durch die unvergesslichen Leistungen von Bela Lugosi und Boris Karloff Filmgeschichte schrieben, sowie „Die Mumie“ (1932), prägte Universal nachhaltig das Horror-Genre. Unter Laemmles Führung produzierte Universal nahezu 10.000 Werke und erlebte einen beispiellosen Aufstieg zu einem der führenden Hollywood-Studios.
Vom Ehrenbürger zum „Filmjuden“: Laemmles Beziehung zu Laupheim
Trotz seines Erfolgs in den USA blieb Laemmle Zeit seines Lebens eng mit seiner Geburtsstadt Laupheim verbunden, den er Mehrfach besuchte. Als wohlhabender Geschäftsmann unterstützte er Laupheim finanziell großzügig. In den 1920er-Jahren spendete er hohe Summen an die Stadt, die jüdische Gemeinde und einzelne Bürger. Er finanzierte unter anderem eine Schule, ein Schwimmbad und das Waisenhaus. Laupheim dankte es ihm 1919 mit der Ehrenbürgerwürde, die jedoch 1921 auf Druck von rechts wieder aberkannt wurde, da Laemmle inzwischen US-Staatsbürger war. Später benannte der Ort immerhin eine Straße nach ihm.
Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 erlebte Carl Laemmle eine dramatische Wendung der öffentlichen Meinung gegen ihn in Deutschland. Sein Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“, der ihm 1930 einen Oscar einbrachte, löste in Deutschland einen wahren Skandal aus. Trotz vorgenommener Kürzungen initiierte Joseph Goebbels eine aggressive Kampagne gegen den Film. Der „Völkische Beobachter“, das Sprachrohr der NSDAP, verunglimpfte Laemmle als „Filmjuden“, und der Druck der Nationalsozialisten führte schließlich dazu, dass der Film nach nur 36 Tagen Laufzeit verboten wurde. Der Mann, der einst als gefeierter Sohn seiner Stadt galt, sah sich nun mit einem Einreiseverbot nach Deutschland konfrontiert. Diese Entwicklungen markierten den Beginn einer feindseligen Haltung gegenüber Laemmle, die weit über die Ablehnung eines einzelnen Films hinausging und ihn persönlich traf.
Einsatz für die Rettung jüdischer Leben
Trotz der Anfeindungen blieb seine tiefe Verbundenheit mit seiner alten Heimat unerschüttert. In seinen letzten Lebensjahren jedoch vollbrachte er eine Tat, die ihn unsterblich machte. Von 1936 bis zu seinem Tod im Jahr 1939 stellte er Hunderte sogenannter Affidavits aus. Diese Bürgschaftserklärungen ermöglichten es verfolgten Juden aus Deutschland, in die Vereinigten Staaten zu emigrieren. Für viele von ihnen bedeutete dies die Rettung vor dem sicheren Tod in den Konzentrationslagern.
In einem Brief an den amerikanischen Konsul in Stuttgart schreibt Laemmle: „Sie können sicher sein, dass wenn ich ein Affidavit ausstelle, ich es in voller Kenntnis meiner Verantwortung tue und mein ganzes Herz und meine Seele damit verbunden sind. Ich brauche Ihnen nichts von den Leiden erzählen, die deutsche Juden in diesen Zeiten durchmachen, und ich fühle, dass jeder einzelne Jude, der finanziell in der Lage ist, diesen in übler Weise Bedürftigen zu helfen, dies unerschütterlich tun sollte.“
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Carl Laemmles unsterbliches Erbe
Carl Laemmle verstarb am 24. September 1939 im Alter von 72 Jahren in Beverly Hills, nachdem er drei Herzinfarkte erlitten hatte. Sein Vermächtnis jedoch bleibt unvergessen und wirkt bis heute nach. Die von ihm gegründeten Universal Studios gehören weiterhin zu den erfolgreichsten Filmstudios weltweit und sind für die Produktion von Klassikern wie „E.T. – Der Außerirdische“, „Jurassic Park“ und „Ich – Einfach Unverbesserlich“ bekannt.
Auch in seiner Geburtsstadt Laupheim wird Carl Laemmle bis heute geehrt. Sein Andenken wird durch verschiedene Ehrungen lebendig gehalten, darunter das Carl-Laemmle-Gymnasium, ein ihm gewidmeter Brunnen und ein Museum, die alle an diesen bedeutenden Sohn der Stadt erinnern. Seine Taten und sein Erbe bleiben ein leuchtendes Beispiel für Mitmenschlichkeit und visionäres Schaffen.
Anlässlich seines 150. Geburtstags im Jahr 2017 wurde der Carl Laemmle Produzentenpreis ins Leben gerufen. Dieser Preis, gestiftet von der Produzentenallianz in Zusammenarbeit mit der Stadt Laupheim, ehrt seither jährlich Produzentenpersönlichkeiten, die durch ihr Lebenswerk herausragen. Sie werden für ihre kreative Kraft und ihren Pioniergeist in der Filmwirtschaft ausgezeichnet – Werte, für die Carl Laemmle wie kein Zweiter steht.