Max Steller, ein anerkannter Rechtspsychologe, fordert in Sexualstrafverfahren einen überlegten Umgang mit Aussagen. Im Gespräch mit dem „Spiegel“ betonte Steller, dass „jeder Vorwurf geprüft werden muss“. Er kritisiert die Forderung mancher Aktivisten der Metoo-Bewegung, Betroffenen stets vorbehaltlos zu glauben, da dies den Grundsätzen des Rechtssystems und rationalem Denken widerspreche. Eine unzutreffende Anschuldigung könne gravierende Konsequenzen und Lebensläufe zerstören.
Steller gilt als einer der erfahrensten Aussagepsychologen in Deutschland. Seit über 50 Jahren erstellt er Gutachten in Strafverfahren, in denen mutmaßliche Opfer und Täter beurteilt werden. Er war an bedeutenden Missbrauchsprozessen beteiligt, darunter die Wormser Prozesse in den 1990er-Jahren. Auch im Fall des Serienmörders Niels H. war er involviert. Seine Expertise beeinflusste maßgeblich die Mindeststandards für Glaubhaftigkeitsgutachten, die der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 1999 festlegte.
Scharfe Kritik übt Steller an therapeutischen Ansätzen, die darauf abzielen, „verdrängte“ Missbrauchserinnerungen „zurückzuholen“. Er bezeichnet diese Vorstellung als falsch, da besonders schlimme Erlebnisse in der Regel nicht verdrängt, sondern intensiv erinnert würden. Ein massiver Missbrauch im Schulalter werde üblicherweise nicht vergessen. Solche falschen Versprechen würden Betroffenen eher schaden als helfen.
Steller nimmt auch die Justiz in die Pflicht und warnt vor der Gefahr erneuter Justizskandale. Als aktuelles Beispiel führt er einen öffentlich bekannt gewordenen Fall aus Braunschweig an. Hier beschuldigte eine junge Frau ihre Mutter und ihren Stiefvater des jahrelangen Missbrauchs und Verkaufs als Sexsklavin. Die Eltern wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Später stellte sich heraus, dass die Anschuldigungen unzutreffend waren und die Eltern 684 Tage unschuldig im Gefängnis verbrachten.
„Vor `Unfällen` dieser Art sind wir nie gefeit, fürchte ich“, so Steller. Er betont die Notwendigkeit, dass Aussagepsychologen weiterhin über die Mechanismen von Suggestion, Scheinerinnerungen und die Bedeutung einer präzisen Überprüfung von Aussagen aufklären. Steller warnt: „Je länger so einschneidende Rechtsmomente wie die Wormser Prozesse und das BGH-Urteil zurückliegen, desto größer ist die Gefahr, dass ähnliche Fehler wieder gemacht werden.“
(Mit Material der dts Nachrichtenagentur erstellt)