Energiewende trifft Landwirtschaft

Sonne, Strom und Saat: Wie die neue Agri-Photovoltaik-Forschungsanlage in Baden-Württemberg die Landwirtschaft revolutionieren soll

Solarenergie über dem Acker, Weizen unter den Modulen – und dazwischen jede Menge Daten: Mit einer 3.600 Quadratmeter großen Agri-Photovoltaik-Anlage startet die Universität Hohenheim am Ihinger Hof in Renningen ein Forschungsprojekt, das Landwirtschaft und Energiewende enger zusammenbringt. Ziel ist, Strom zu erzeugen, ohne landwirtschaftliche Fläche zu verlieren – und zugleich die Landwirtschaft robuster gegen Hitze, Trockenheit und Starkregen zu machen.
Sonne, Strom und Saat: Wie die neue Agri-Photovoltaik-Forschungsanlage in Baden-Württemberg die Landwirtschaft revolutionieren soll
Sonne, Strom und Saat: Wie die neue Agri-Photovoltaik-Forschungsanlage in Baden-Württemberg die Landwirtschaft revolutionieren soll
Die neue Agri-Photovoltaik-Forschungsanlage am Ihinger Hof in Renningen vereint Ackerbau und Solarenergie – ein Modell für die Landwirtschaft der Zukunft.
Foto: Universität Hohenheim / Thomas Klink

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Solarstrom vom Acker: Energiegewinnung ohne Flächenkonkurrenz

Die Idee hinter Agri-Photovoltaik (kurz: Agri-PV) ist so einfach wie genial: Auf derselben Fläche, auf der Getreide oder wachsen, kann gleichzeitig Sonnenstrom produziert werden. Möglich machen das hochaufgeständerte Solarmodule, die so angeordnet sind, dass sie den Pflanzen darunter Licht lassen – und zugleich Energie für den Strommix liefern.

Auf dem Versuchsgelände Ihinger Hof der Universität Hohenheim in Renningen wurde nun eine der modernsten Forschungsanlagen dieser Art eingeweiht. Die Anlage steht auf 3.600 Quadratmetern Ackerfläche, die Solarmodule sind auf bis zu zehn Meter hohen Stahlkonstruktionen montiert – hoch genug, damit Traktoren und Mähdrescher darunter hindurchfahren können.

Mit einer Nennleistung von 218 Kilowattpeak (kWp) und einem erwarteten jährlichen Ertrag von rund 200.000 Kilowattstunden liefert die Anlage genug Strom, um etwa 60 Haushalte zu versorgen – und gleichzeitig Platz für wissenschaftliche Experimente.

Finanziert wurde das Projekt durch das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR). Die Einweihung erfolgte am 6. November 2025 mit Staatssekretärin Sabine Kurtz:

„Agri-Photovoltaik ist ein Paradebeispiel dafür, wie Energiewende und Hand in Hand gehen können. Die neue Anlage zeigt, dass wir Ackerflächen doppelt nutzen können – zum Wohle von Klima, Umwelt und Landwirten.“

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Einweihung Agri-PV-Forschungsanlage mit Staatssekretärin Sabine Kurtz
Foto: Universität Hohenheim / Thomas Klink

Bau mit Feingefühl: Keine schweren Maschinen, kein verdichteter Boden

Der Aufbau der Anlage dauerte mehrere Monate – und erfolgte unter besonderen Bedingungen. Anders als auf großen Solarparks wurden keine schweren Baumaschinen eingesetzt. Stattdessen kamen mobile Kräne und Hebebühnen mit bodenschonender Bereifung zum Einsatz.

Der Grund: Der Boden sollte nicht verdichtet werden. Denn verdichtete Böden verlieren ihre Fähigkeit, Wasser, Sauerstoff und Nährstoffe aufzunehmen – mit gravierenden Folgen für Pflanzenwachstum und Bodenleben.
Juniorprofessor Andreas Schweiger, Leiter des Fachgebiets Pflanzenökologie, erklärt:

„Wir wollten den Boden so wenig wie möglich belasten. Ein gesunder, lockerer Boden ist die Grundlage für stabile Erträge und nachhaltige Landwirtschaft.“

Forschung unter den Modulen: Pflanzen, Klima und Daten

Die Agri-PV-Anlage ist ein Freiluftlabor. Auf 13 mal 14 Meter großen Parzellen werden unterschiedliche Kulturen und Sorten angebaut – klassische wie Weizen und Gerste, aber auch neue, bisher kaum erprobte Pflanzenarten.

Die Solarmodule bestehen aus bifazialen Doppelglas-Modulen, die Licht von beiden Seiten nutzen. Rund 30 Prozent der Fläche wird beschattet – genug, um Unterschiede in Lichtintensität und Temperatur zu erzeugen, aber nicht so viel, dass Pflanzenwachstum behindert würde.

Das Forschungsteam erfasst kontinuierlich ein hochaufgelöstes Mikroklima-Monitoring:

  • Bodenfeuchtigkeit
  • Lufttemperatur
  • Sonneneinstrahlung
  • Blatttemperatur
  • CO₂- und Wasserdampfgehalt

Alle Daten fließen in Echtzeit in eine Cloud, auf die Forschende verschiedener Disziplinen zugreifen können – von Agrarwissenschaften bis Energietechnik.

Schweiger:

„Wir wollen verstehen, wie sich Licht, Schatten und Temperatur auf das Wachstum, die Erträge und die Bodenökologie auswirken. Die Erkenntnisse helfen uns, standortangepasste Sorten und optimale Fruchtfolgen zu entwickeln.“

Beschattung als Chance – nicht als Nachteil

Eines der spannendsten Ergebnisse aus früheren Projekten: Die Beschattung durch die Module kann die Pflanzen sogar schützen.

„Unsere Pilotversuche haben gezeigt, dass die Erträge unter den Modulen kaum geringer sind – in manchen Jahren sind sie sogar stabiler“, berichtet Schweiger.

Der Grund: Bei Hitzewellen und Trockenperioden, die infolge des Klimawandels zunehmen, profitieren die Pflanzen von der geringeren Sonneneinstrahlung. Die Verdunstung ist geringer, die Pflanzen stehen unter weniger Stress. Gleichzeitig bieten die Module Schutz vor Extremwetter – etwa vor Starkregen, Hagel oder Frost.

Damit wird Agri-PV zu einem wichtigen Werkzeug, um landwirtschaftliche Betriebe klimafester und resilienter zu machen.

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Foto: Universität Hohenheim / Thomas Klink

Wissenschaft trifft Praxis: Wissenstransfer für die Landwirtschaft

Doch die Hohenheimer Forschenden wollen ihre Erkenntnisse nicht nur im Labor behalten. Der Agri-PV-Forschungsbereich versteht sich ausdrücklich als Brücke zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis.

Ab Dezember 2025 startet deshalb eine öffentliche Vortragsreihe unter dem Titel „Agri-Photovoltaik im Wandel“. Zwischen dem 3. Dezember 2025 und dem 28. Januar 2026 berichten Expertinnen und Experten aus Forschung, Verwaltung und über aktuelle Projekte, rechtliche Fragen und praktische Erfahrungen.

Die Vorträge finden sowohl vor Ort als auch online statt – kostenlos und offen für alle Interessierten.
Programm und Anmeldung: agriphotovoltaik.uni-hohenheim.de

Modellregion Agri-PV Baden-Württemberg: Forschung mit Signalwirkung

Die neue Anlage ist Teil der Modellregion Agri-PV Baden-Württemberg, die vom MLR und dem Umweltministerium (UM) gefördert und vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg koordiniert wird.

Ziel des landesweiten Projekts ist es, unterschiedliche Agri-PV-Systeme zu erproben – auf verschiedenen Standorten, mit verschiedenen Kulturen und Anlagenkonzepten. Vom Weinberg bis zum Acker, vom Gemüseanbau bis zur Viehwirtschaft: Jede Pilotanlage liefert Daten, die später in Empfehlungen für die Praxis einfließen sollen.

Die Modellregion soll zeigen, dass Energiewende und Landwirtschaft keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig stärken können.

„Agri-Photovoltaik ist ein Schlüssel für die Zukunft“, sagt Schweiger. „Wir können auf derselben Fläche Nahrungsmittel und Energie produzieren – und gleichzeitig die Umwelt schonen. Das ist doppelte Effizienz.“

Zukunft der Landwirtschaft: Hightech trifft Nachhaltigkeit

Mit der Anlage in Renningen bekommt Baden-Württemberg eines der modernsten Agri-PV-Forschungszentren Deutschlands. Sie verbindet digitale Datenerfassung, ökologische Forschung und landwirtschaftliche Praxis auf einer Fläche – und liefert Erkenntnisse, die weit über die Landesgrenzen hinausreichen dürften.

Für die Universität Hohenheim ist das Projekt ein Meilenstein der interdisziplinären Agrarforschung – und ein klares Signal: Die Landwirtschaft der Zukunft wird nicht mehr zwischen Ernte und Energie unterscheiden, sondern beides kombinieren.

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