Ein Schüler dreht durch – und streamt sein Blutbad
Im Mittelpunkt steht der 17-jährige Jeremy (Mikke Rasch). Nach außen ein stiller, fast harmloser Außenseiter, zu Hause Pfleger seiner schwerkranken Mutter Rebecca (Maja Beckmann). Sein Vater ist längst weg, Freunde hat er kaum. Schon in den ersten Szenen wirkt er wie eine tickende Zeitbombe: Im Unterricht knallt er wütend eine unbearbeitete Klassenarbeit auf den Tisch, gerät mit seiner Mutter in Streit.

© MDR/filmpool fiction/Stefan Erhard
Kurz darauf kehrt er mit einer Sporttasche voller Waffen in die Schule zurück. Dort erschießt er zuerst den Direktor und dessen Stellvertreterin, danach weitere Lehrkräfte und Schüler. Schließlich verschanzt er sich mit einer ganzen Klasse. Das Grauen steigert sich, als er seine Taten mit einer Bodycam filmt und live im Netz streamt – wie in einem Videospiel, eiskalt, fast mechanisch.
Die Schule selbst wird zum „Angstraum“: graue Flure, kaltes Licht, geschlossene Türen. Diese Atmosphäre verstärkt das Unheilvolle – ohne auf plumpe Action zurückzugreifen.

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Kommissarin Brasch zwischen Mut und Unglaubwürdigkeit
Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) ist schnell am Tatort. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Uwe Lemp (Felix Vörtler) und einem Sondereinsatzkommando wird sie in den Einsatz eingebunden. Doch anstatt abzuwarten, rennt Brasch mehrfach allein ins Gebäude – eine dramaturgische Entscheidung, die Spannung erzeugt, aber wenig realistisch wirkt.
Sie begegnet einer verletzten Lehrerin, beruhigt eine traumatisierte Schülerin, liefert sich sogar einen Schusswechsel mit Jeremy. Doch nach und nach entledigt sie sich ihrer Kampfmontur und beginnt, nach den Hintergründen zu suchen. Sie besucht Jeremys Mutter, versucht, die Veränderungen im Leben des Jungen zu verstehen. Michelsen gelingt es, Brasch zwischen Härte, Empathie und Verzweiflung zu zeigen – und macht sie damit zu einer glaubwürdigen, wenn auch nicht immer realistischen Figur.
Täterporträt: Jeremy ist mehr als ein Monster
Die zentrale Figur bleibt jedoch Jeremy. Gespielt von Mikke Rasch, zeigt er erschreckend realistisch den Weg vom fürsorglichen Sohn zum kaltblütigen Mörder. Mal wirkt er verletzlich, mal voller Hass.

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Sein Motiv: keine einfache Rache für Mobbing oder Demütigungen. Stattdessen verfällt Jeremy kruden Verschwörungstheorien – einer Mischung aus Science-Fiction-Mythen und rechtsextremen Untergangsphantasien. Die Polizeipsychologin im Film erklärt es so: „Eine Mischung aus Science-Fiction und rechtsextremen Untergangsphantasien.“ Damit wird ein hochaktuelles Thema berührt – die Radikalisierung Jugendlicher im Netz. Doch gleichzeitig wirken manche Details überzeichnet und lösen beim Publikum eher Stirnrunzeln als Schock aus.
Die Inszenierung: Stille als Soundtrack des Grauens
Regisseurin Esther Bialas verzichtet konsequent auf reißerische Effekte. Statt bombastischem Soundtrack herrscht Stille: Lampensummen, entfernte Schritte, Türen, die zufallen. Dieses dokumentarische Erzählen verstärkt die Beklemmung.
Die Gewalt wird nicht verherrlicht, sie wird nüchtern gezeigt. Genau dadurch wird der Schrecken greifbar. Zuschauer haben das Gefühl, selbst in den dunklen Fluren zu stehen, jederzeit bedroht, jederzeit in Gefahr.

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Kritik: Mutig, bedrückend – aber nicht perfekt
„Sie sind unter uns“ ist einer der mutigsten Polizeirufe der letzten Jahre. Der Film geht unter die Haut, bleibt aber nicht ohne Schwächen. Besonders das wiederholte Alleingang-Verhalten von Kommissarin Brasch wirkt wie ein reiner Drehbuchtrick und mindert die Glaubwürdigkeit. Auch die Geiseln im Klassenzimmer geraten zu sehr in den Hintergrund – ihre Angst und Verzweiflung hätten stärker gezeigt werden können. Das Motiv des Täters schwankt zwischen erschreckend aktuell und zugleich konstruiert, wodurch die Wirkung an manchen Stellen verpufft.
Trotzdem überzeugt der Krimi schauspielerisch auf ganzer Linie. Mikke Rasch spielt Jeremy mit einer Intensität, die Gänsehaut macht. Claudia Michelsen trägt den Film souverän, während Maja Beckmann als kranke Mutter zusätzliche Tragik hineinbringt. So bleibt am Ende ein Polizeiruf, der bedrückend und mutig ist – aber nicht perfekt.ehaut macht. Michelsen trägt den Film souverän, Beckmann bringt eine zusätzliche Tragik hinein.
Besetzung von „Sie sind unter uns“
- Claudia Michelsen als Kommissarin Doreen Brasch
- Felix Vörtler als Uwe Lemp
- Mikke Rasch als Jeremy
- Maja Beckmann als Rebecca Schratt
- Smilla Maryluz Liebermann als Roberta
- Greta Krämer als Vanessa
- Lasse Stadelmann als Ruben
- Ulrich Brandhoff als Karsten Nötzing
- Anja Herden als Petra Giese
- Frank Schilcher als Einsatzleiter SEK
Sendetermine und Mediathek
- Sonntag, 21. September 2025, 20:15 Uhr im Ersten (Premiere)
- Dienstag, 23. September 2025, 00:15 Uhr im Ersten (Wiederholung)
Nach der TV-Ausstrahlung ist der Film wie gewohnt in der ARD Mediathek verfügbar.
Unser Fazit zur Polizeiruf-Kritik
„Sie sind unter uns“ ist kein Krimi für schwache Nerven. Der Film verzichtet auf reißerische Action, zeigt die Radikalisierung eines Jugendlichen mit bedrückender Nüchternheit – und sorgt genau dadurch für Gänsehaut.
Stark gespielt, intensiv inszeniert, aber nicht frei von Schwächen: Braschs Vorgehen wirkt unrealistisch, das Täter-Motiv teilweise zu abgedreht. Trotzdem: ein Polizeiruf, der heute Abend viele Diskussionen auslösen dürfte – und deutlich macht, wie mutig das ARD-Krimi-Format sein kann.
Bewertung: 4 von 5 Punkten

