Das Leben von Hanna Riedle: Ein geplatzter Traum
Hanna Riedle, die junge Wirtstochter aus einem kleinen Dorf auf der Schwäbischen Alb, träumte von einem anderen Leben. Ihr Alltag war vorbestimmt: Verlobt mit der Jugendliebe, eingeplant als Nachfolgerin im elterlichen Gasthof. Doch Hanna entschied sich für die Freiheit. Sie zog nach Stuttgart, um eine Ausbildung als Tischlerin zu machen, und ließ ihr altes Leben hinter sich.
© SWR/Benoît Linder
Nur wenige Wochen später wurde sie tot aufgefunden – erwürgt in einem Waldstück. Der Schock sitzt tief, nicht nur in ihrer Familie, sondern auch in der verschworenen Dorfgemeinschaft. Was war der Auslöser für diese Tragödie? Die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) machen sich auf den Weg, um Antworten zu finden.
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Eine Dorfgemeinschaft voller Geheimnisse
Das Dorf, in das die Ermittler eintauchen, scheint wie aus der Zeit gefallen. Hier kennt jeder jeden, und die Fassade der Idylle bröckelt schnell. Hannas Mutter Luise (Julika Jenkins) kämpft mit der Scham, dass ihre Tochter das Leben auf der Alb ablehnte. Ihre Verzweiflung gipfelt in einer verstörenden Szene: Sie versucht, ihre Trauer buchstäblich mit selbstgemachten Klößen zu ersticken – ein Moment, der gleichermaßen surreal und erschütternd ist.
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Hannas Vater Hannes (Moritz Führmann) ist von Trauer und Wut geplagt, während ihre jüngere Schwester Emma (Irene Böhm) unter dem Druck steht, Hannas Rolle im Dorf und in der Familie auszufüllen. Doch die Tragödie bringt nicht nur die Familie, sondern auch die Dorfgemeinschaft aus dem Gleichgewicht. Eifersucht, Misstrauen und alte Ressentiments treten an die Oberfläche.
Verdächtige und dunkle Abgründe
Der Mord an Hanna lenkt die Aufmerksamkeit der Ermittler schnell auf zwei Verdächtige. Zum einen Martin Gmähle (Sebastian Fritz), Hannas Ex-Verlobter, der nicht akzeptieren konnte, dass sie ihn verließ. „Ich habe alles für sie getan“, sagt er unter Tränen – doch seine Taten sprechen eine andere Sprache. Seine Eifersucht und seine Bemühungen, Hanna zurückzugewinnen, werfen Fragen auf.
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Zum anderen gerät Marek Gorsky (Timocin Ziegler), ein alter Schulfreund und heimlicher Verehrer, ins Visier. Marek, der trotz einer schwangeren Freundin von Hanna besessen war, hatte sie gestalkt. Als Lannert ihn verhören will, eskaliert die Situation: Marek versucht zu fliehen und verletzt den Kommissar. Diese Aktion macht ihn zur Zielscheibe der Dorfgemeinschaft. Ein wütender Mob formiert sich, entschlossen, selbst Gerechtigkeit zu üben.
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Ein Tatort, der unter die Haut geht
„Lass sie gehen“ besticht durch seine dichte Atmosphäre und die beklemmende Darstellung einer zerrissenen Dorfgemeinschaft. Regisseur Andreas Kleinert verzichtet auf unnötige Effekte und setzt stattdessen auf intensive Charakterstudien. Der leise Trommelwirbel, der die Spannung begleitet, unterstreicht die düstere Stimmung perfekt.
Die Ermittler Lannert und Bootz überzeugen mit gewohnt starker Präsenz, ohne dabei die Dorfbewohner in den Hintergrund zu drängen. Besonders die Flashbacks mit Hanna fügen der Handlung eine emotionale Tiefe hinzu, die den Zuschauer mitten ins Geschehen zieht. Am Ende überrascht der Film mit einer Wendung, die an klassische Columbo-Folgen erinnert: Ein unscheinbares Detail entlarvt den Täter und zeigt, wie vielschichtig der Titel „Lass sie gehen“ ist.
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Kritik: Zwischen Stereotypen und düsterer Atmosphäre
Der neue Stuttgarter „Tatort“ wirft einen kritischen Blick auf die ländliche Idylle, lässt dabei jedoch keine Klischees aus. Das Dorf auf der Schwäbischen Alb wird als engstirnig, bigott und fremdenfeindlich dargestellt – ein trostloser Kontrast zur Großstadt Stuttgart, in die Hanna geflüchtet war. Drehbuchautor Jürgen Hartmann und Regisseur Andreas Kleinert bedienen sich bewusst dieser Stereotype, um die beklemmende Atmosphäre zu unterstreichen, was allerdings nicht bei allen Zuschauern auf Zustimmung stoßen dürfte.
Fazit: Einschalten lohnt sich
„Lass sie gehen“ zählt zu den stärksten Tatorten der Saison. Mit einem emotionalen Plot, tiefgehenden Charakteren und einem überraschenden Ende setzt der SWR neue Maßstäbe. Der Film ist nicht nur ein spannender Krimi, sondern auch eine beklemmende Studie über Schuld, Trauer und Vergebung. Einschalten lohnt sich: Sonntag, 17.11., um 20:15 Uhr im Ersten.