Die Story: Zwischen Mafia-Krieg und Verrat in den eigenen Reihen
Der Fall beginnt mit einem grausigen Fund: Aus der Berliner Spree wird eine männliche Leiche ohne Kopf geborgen. Die Ermittlungen sind kaum angelaufen, da wird Kommissarin Nina Rubin von einer panischen jungen Frau verfolgt. Julie Bolschakow (eindringlich gespielt von Bella Dayne) ist die Ehefrau des russischen Mafia-Patrons Yasha Bolschakow (Oleg Tikhomirov) und hat einen Mord beobachtet, den ihr Mann begangen hat.

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Sie fleht Rubin um Hilfe an, will gegen das organisierte Verbrechen und den illegalen Müllhandel ihres Clans aussagen. Ihr Preis: ein Platz im Zeugenschutzprogramm. Rubin willigt ein, doch die Kriminaldirektorin (Nadeshda Brennicke) stellt eine harte Bedingung: absolute Geheimhaltung. Nicht einmal Rubins Partner Robert Karow (Mark Waschke) darf eingeweiht werden, da ein Maulwurf bei der Polizei vermutet wird – der korrupte Polizeipsychologe (Tristan Seith), wie sich später herausstellt.
Dieser erzwungene Vertrauensbruch reißt tiefe Wunden zwischen Rubin und Karow, deren Beziehung ohnehin ein Tanz auf dem Vulkan war. Während Rubin versucht, Julies Flucht zu organisieren, ermittelt Karow auf eigene Faust und kommt der Wahrheit gefährlich nahe – und bringt damit unwissentlich alle in Lebensgefahr.
Der Showdown: Ein unvergesslicher TV-Tod
Die zweite Hälfte des Films entwickelt sich zu einem atemlosen Thriller. Die geplante Übergabe von Julie scheitert, es entbrennt eine gnadenlose Verfolgungsjagd durch die Hauptstadt, die an einem stillgelegten Flughafen in einem dramatischen Kugelhagel endet. In einem letzten, selbstlosen Akt der Menschlichkeit gibt Nina Rubin der verängstigten Julie ihre schusssichere Weste. Eine Entscheidung mit fatalen Folgen. Rubin wird von mehreren Kugeln getroffen. Während Julie in die Freiheit entkommt, kann Karow für seine Kollegin nichts mehr tun. Nina Rubin stirbt in seinen Armen. Ein Schock-Moment, der zu den denkwürdigsten der über 50-jährigen „Tatort“-Geschichte zählt.

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Die Kritik: Zwischen Meisterwerk und Melodram
Der neueste Tatort mit Meret Becker als Kommissarin Nina Rubin bietet eine faszinierende Mischung aus Spannung und emotionaler Tiefe. Besonders beeindruckend ist der dramatische Showdown am BER, der Berlin in seiner düsteren und verzweifelten Atmosphäre einfängt. Die Szene spiegelt geschickt die Sucht nach einem Ausweg wider, die sowohl für die Charaktere als auch für normale Reisende auf dem Flughafen allgegenwärtig ist.
Gleichzeitig zeigt die Episode tiefe Einblicke in die Psyche von Kommissarin Rubin und ihren Kollegen. Die Reduktion auf eine kleine Gruppe von Hauptfiguren und die Entwicklung eines Drei-gegen-alle-Struktur verleiht der Handlung eine packende Intensität. Die Konflikte, insbesondere die Bindungsängste zwischen Rubin und ihrem Partner Karow, werden eindringlich thematisiert und tragen zur komplexen Dynamik der Geschichte bei.

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Jedoch, während die Inszenierung und die schauspielerischen Leistungen überzeugen, könnte die Handlung an manchen Stellen etwas straffer sein. Insbesondere der Showdown am Flughafen verliert sich zuweilen in einem unklaren Timing und verpasst es, einen durchgängigen Rhythmus aufrechtzuerhalten.
Insgesamt bietet der Tatort „Das Mädchen, das allein nach Haus geht“ eine gelungene Mischung aus Genre-Elementen und psychologischer Tiefe. Es ist ein würdiger Abschied für Kommissarin Nina Rubin, der sowohl emotionale Höhepunkte als auch spannende Krimi-Elemente gekonnt verbindet.
Quoten-Triumph und geplanter Ausstieg
Die Zuschauer entschieden für sich: Sagenhafte 7,29 Millionen Menschen sahen die Erstausstrahlung am 22. Mai 2022, was einem Marktanteil von 25,6 Prozent entsprach. Für Meret Becker war es nach 15 Fällen eine geplante Entscheidung, sich „anderen künstlerischen Aufgaben widmen und auf Neues konzentrieren“ zu wollen.
Wer heute Abend also nicht nur Hochglanz-Action, sondern ein tiefgründiges Beziehungsdrama über Vertrauen, Verrat und die Frage nach dem ultimativen Opfer sehen will, kommt an diesem „Tatort“ nicht vorbei. Taschentücher bereithalten!

