Die Atmosphäre ist aufgeladen, eine Mischung aus Respekt vor der persönlichen Entscheidung und dem unbedingten Willen, die wahren Beweggründe zu verstehen. Markus Lanz formuliert die Frage, die allen auf der Seele brennt: „Ist es ein Abschied für immer oder nur auf Zeit?“
Was folgt, ist weit mehr als eine einfache Antwort. Es ist eine tiefgründige Reflexion, eine persönliche Beichte und eine schonungslose Abrechnung mit einem politischen System, das er von innen erlebt und an dem er zu zerbrechen drohte.
„Ein viel zu großes Wort“: Habecks Kunst der politischen Unschärfe
Robert Habeck zögert nicht lange, aber seine Worte sind sorgfältig gewählt. „Für immer ist ein viel zu großes Wort“, beginnt er und öffnet damit sofort ein Fenster für Spekulationen. „Man kann ja nie wissen, was die Zukunft bringt.“ Es ist die klassische Formulierung eines Politikers, der sich keine Tür endgültig zuschlagen möchte. Doch im nächsten Atemzug wischt er den Verdacht eines rein taktischen Manövers vom Tisch. „Es ist kein taktischer Abschied. Also es ist jetzt nicht ein, ich mach mal anderthalb Jahre Politikpause, um irgendwas auf der politischen ersten Reihe anzustreben oder zu tun.“
Stattdessen zeichnet er das Bild eines Mannes am Ende eines langen Weges. „Ich war jetzt 20 Jahre lang in der Spitzenpolitik unterwegs und ja, im gewissen Sinne ist der Weg jetzt auch ausgegangen.“ Er wolle sich nicht „politisch komplett rausnehmen“, aber seinen „Horizont erweitern“. Die Metapher, die er wählt, ist entwaffnend ehrlich und lässt tief blicken: „Es ist so ein bisschen wie aus der Schule ausgehen oder so. Und vieles ist möglich. Da lang, da lang, da lang, stehen bleiben, mal gucken.“ Es ist das Bild der ultimativen Befreiung von den Zwängen und Routinen des politischen Betriebs.
Die Gegenthese: Politik ohne die unangenehmen Nebenwirkungen
Doch die erfahrene Hauptstadtjournalistin Melanie Amann vom „Spiegel“ kauft ihm diese rein persönliche Erzählung nicht ganz ab. Sie formuliert eine kühne Gegenthese, die den Kern der Sache treffen könnte. „Ich hatte das Gefühl, da kündigt einer an, ich komme irgendwann wieder zurück. Weil er offensichtlich weiterhin präsent sein will.“ Ihre Analyse ist so präzise wie provokant: „Ich glaube, er möchte eigentlich die Wirkung haben, die Sie als Politiker hatten, nur ohne die Nebenwirkungen der Politik.“
Amann beschreibt das Phänomen eines Politikers, der die öffentliche Bühne nicht verlassen, sich aber von den Fesseln des Amtes befreien will. Weiterhin Interviews geben, auf Social Media präsent sein, aber ohne Fraktionszwang und ohne die Notwendigkeit, unliebsame Kompromisse zu verteidigen. „Man muss nicht mehr sich an die Linie halten, man kann sagen, wofür man steht“, ergänzt sie.
Eine erste Kostprobe dieser neuen Freiheit lieferte Habeck bereits im Vorfeld in einem Interview. Seine Kommentare zu politischen Konkurrenten waren von einer Schärfe, die man von ihm als Minister selten gehört hat. Markus Söders Auftritte bezeichnete er als „fetischhaftes Wurstfressen“, und Julia Klöckner, die als Bundestags-Vizepräsidentin im Gespräch war, warf er vor, das Parlament zu spalten und zu polarisieren. Das ist der neue Habeck: ungebunden, direkt und befreit von diplomatischer Rücksichtnahme.
Habecks große Abrechnung mit dem politischen System
Der wahre Kern von Habecks Entscheidung scheint jedoch in einer tiefen Entfremdung vom politischen Betrieb in Berlin zu liegen. Er übt fundamentale Systemkritik.
1. Die erodierende Gewaltenteilung: Ein zentraler Punkt ist für ihn die zunehmende Vermischung von Regierung (Exekutive) und Parlament (Legislative). Minister, die gleichzeitig Abgeordnete sind, würden zu stark von ihren Fraktionen vereinnahmt. Anstatt als unabhängige Diener des Staates zu agieren, würden sie zu Erfüllungsgehilfen der Parteiinteressen. „Man ist also quasi jeweils in der Fraktion als Minister eingenordet auf die Denkschulen der jeweiligen Parteien und Fraktionen“, analysiert er. Die Regierung sei in der Konsequenz nicht mehr ein unabhängiges Organ, das für das ganze Land agiert, sondern ein Gremium, das primär die Interessen der Koalitionsparteien ausbalanciert.
2. Der Zirkus der Nebensächlichkeiten: Habeck beklagt eine Debattenkultur, die sich in sogenannten „Kulturkampfthemen“ verliert. Anstatt die drängenden Probleme – Krieg, Klimawandel, Bedrohung der Demokratie – zu verhandeln, werde über Symbole gestritten. „Das ist dann dieser Schaum vor dem Mund und dieses Aggressive, das nützt keinem und bringt einem auch überhaupt nichts voran, vor allem sind es lauter Nebensächlichkeiten in Wahrheit“, beklagt er. Diese Debatten würden geführt, weil sie in den sozialen Medien Klicks generieren und jeder eine Meinung dazu haben könne.
3. Die Tyrannei der Umfragen: Der politische Alltag werde von einer permanenten „Hitparaden-Mentalität“ bestimmt. „Man wird quasi zweitäglich gemessen, wie populär man ist“, kritisiert Habeck. Diese Fixierung auf Umfragewerte lähme die Politik. Jede Entscheidung werde sofort auf ihre kurzfristige Wirkung auf die Wählergunst abgeklopft, anstatt langfristige, notwendige, aber vielleicht unpopuläre Schritte zu wagen.
Für sich selbst zieht er eine bittere Konsequenz: „Ich meine, in dem bestehenden Weg, kann ich es, meiner Analyse nach, nicht.“ Er sieht sich in einer Sackgasse. Er kann den politischen Job, so wie er ihn versteht und wie ihn womöglich auch seine Wähler von ihm erwarten, unter den gegebenen Umständen nicht mehr ausführen.
Das persönliche Dilemma und ein „Super Sommer“
Die Entscheidung, die über den Sommer reifte, war keine leichte. Immerhin, so Lanz, hätten ihn viele Menschen gewählt und eine Petition mit über 450.000 Unterschriften habe ihn zum Weitermachen aufgefordert. Habeck gibt zu, dass ihn dies tief beeindruckt habe. Aber er stellte sich die entscheidende Frage: Was erwarten diese Menschen von mir? Wollen sie, dass ich einfach nur dabei bin, oder verbinden sie damit die Hoffnung auf eine bestimmte Art von Politik?
Er entschied sich für Letzteres und kam zu dem Schluss, dass er diese Hoffnung im aktuellen System nicht mehr erfüllen kann. Die persönliche Erleichterung über diesen Schritt ist ihm anzumerken. Auf die Frage, wie sein Sommer gewesen sei, antwortet er strahlend: „War persönlich, neben dem Nachdenken darüber, gerade nach den Ampel-Jahren, super Sommer. Das muss ich sagen.“ Auf Nachfrage, ob es der beste seit 20 Jahren war, zögert er kurz und sagt dann: „Ungefähr, ja, würde ich sagen. Der längste jedenfalls.“
Robert Habecks Rückzug ist somit eine vielschichtige Entscheidung. Es ist die persönliche Befreiung eines Politikers, der an den Mühlen des Betriebs zu zermahlen drohte. Es ist eine scharfe Analyse und Kritik an einem politischen System, das sich in Selbstbezüglichkeit und Nebensächlichkeiten zu verlieren scheint. Und es ist vielleicht der Beginn einer neuen Rolle als freier, kritischer Geist, der sich von außen in die Debatten einmischt – ungebunden und unberechenbar. Für die Grünen, die sich in einer Phase der Neuorientierung befinden, ist sein Abgang ein herber Verlust. Für die politische Debatte in Deutschland könnte er ein unbequemer, aber dringend benötigter Stachel im Fleisch werden. Die Tür, so viel hat er klargemacht, bleibt einen Spalt breit offen.