Wie die Tumorzellen das Gehirn „kapern“
Glioblastome wachsen tief ins Gehirn ein und bauen dabei ein weitreichendes Geflecht, das sie besonders schwer angreifbar macht. „Diese Tumore sind wie ein Pilzgeflecht, das überall Wurzeln schlägt“, erklärt Dr. Dr. Varun Venkataramani, Neurologe an der Medizinischen Fakultät Heidelberg. Die Nervenzellen des Gehirns, die eigentlich schützen sollen, helfen den Tumoren unfreiwillig: Sie bilden Verbindungen und senden Signale, die das Wachstum der Krebszellen sogar fördern.
Mit veränderten Tollwutviren, die Tumorzellen und ihre direkten Verbindungen markieren, konnte das Forschungsteam zeigen, dass diese Vernetzung viel früher beginnt, als bisher angenommen. „Wir haben Tumorzellen entdeckt, die sich bereits weit über das Gehirn verteilt hatten – zu einem Zeitpunkt, an dem sie mit herkömmlichen Methoden noch gar nicht sichtbar wären“, so Erstautorin Ekin Reyhan.
Warum diese frühen Netzwerke so gefährlich sind
Die frühen Verbindungen mit Nervenzellen machen Glioblastome besonders widerstandsfähig. Selbst nach einer Bestrahlung überleben oft Tumorzellen am Rand des Bestrahlungsgebietes. Studien an Mäusen zeigten zudem, dass die Bestrahlung die Aktivität der Nervenzellen erhöht – was wiederum das Tumorwachstum fördert. „Ein Teufelskreis“, sagt Dr. Venkataramani.
Das Heidelberger Team fand außerdem heraus, dass bestimmte Nervenzellen – sogenannte acetylcholinerge Nervenzellen – eine Schlüsselrolle spielen. Diese Zellen, die für Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprozesse wichtig sind, senden Signale, die den Tumor besonders stark antreiben. Blockierten die Forschenden diese Verbindungen im Tierversuch, wuchs der Tumor langsamer.
Neue Hoffnung für die Therapie
Die Erkenntnisse eröffnen neue Möglichkeiten für Behandlungen. Bereits getestete Medikamente, die die Aktivität von Nervenzellen dämpfen, könnten die Strahlentherapie wirksamer machen. Auch die modifizierten Tollwutviren bieten Perspektiven: Sie könnten eines Tages genutzt werden, um gezielt die Verbindungen zwischen Tumoren und Nervenzellen zu blockieren.
„Natürlich stehen wir hier noch ganz am Anfang“, betont Dr. Venkataramani. „Bis solche Ansätze am Menschen eingesetzt werden können, sind noch viele klinische Studien nötig.“ Doch die Forschung zeigt: Je besser wir das Netzwerk der Tumore verstehen, desto größer wird die Chance, sie eines Tages zu bekämpfen.
Glioblastome sind bisher unheilbar, und die Überlebenszeit nach der Diagnose beträgt im Schnitt weniger als zwei Jahre. Doch mit neuen Ansätzen wie diesen könnten sich die Aussichten für Betroffene eines Tages verbessern.