Folge 1: „Ein guter Tag“ – Wenn Normalität trügt
Der Titel klingt harmlos, beinahe optimistisch. Doch genau darin liegt die erste Irritation. „Ein guter Tag“ beginnt vergleichsweise ruhig, fast sachlich. Die Ermittlungen wirken kontrolliert, routiniert, beinahe nüchtern. Doch unter dieser Oberfläche baut sich langsam etwas auf.

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Die Kommissare bewegen sich in einem Umfeld, das auf den ersten Blick stabil wirkt, in dem aber kleine Verschiebungen, Widersprüche und unausgesprochene Konflikte deutlich machen: Hier stimmt etwas nicht. Gespräche bleiben hängen, Blicke wirken zu lang, Entscheidungen fühlen sich falsch an. Der Film nimmt sich Zeit – viel Zeit – und legt damit den Grundstein für alles, was folgt.

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Gerade diese Ruhe ist es, die „Ein guter Tag“ so unangenehm macht. Der Tatort erzeugt kein Tempo, sondern Druck. Man ahnt früh, dass dieser Tag eben kein guter bleiben wird. Statt klarer Eskalation entsteht ein schleichendes Unbehagen, das sich über die gesamte Folge zieht.
Folge 2: „Schwarzer Schnee“ – Eskalation im Stillstand
Was „Ein guter Tag“ vorbereitet, treibt „Schwarzer Schnee“ konsequent weiter. Der zweite Film ist deutlich düsterer, härter und emotional belastender. Die Atmosphäre kippt endgültig. Entscheidungen aus der ersten Folge holen die Figuren ein, Gewissheiten brechen weg, und plötzlich steht nicht mehr nur ein Fall im Mittelpunkt, sondern die psychische Belastung aller Beteiligten.

Macht auf dicke Hose: Dealer Ervin Zoric (Sascha Geršak) mit Frau Lulu (Natasha Petrovikj).
© NDR/Georges Pauly, honorarfrei – Verwendung gemäß der AGB im engen inhaltlichen, redaktionellen Zusammenhang mit genannter NDR-Sendung bei Nennung „Bild: NDR/Georges Pauly“ (S2). NDR Presse und Information/Fotoredaktion, Tel: 040/4156-2306 oder -2305, [email protected]
Der Titel ist Programm: „Schwarzer Schnee“ steht für eine Situation, in der nichts mehr rein oder klar ist. Schuld, Verantwortung und Wahrheit vermischen sich. Die Ermittlungen geraten ins Stocken, nicht weil es keine Hinweise gibt, sondern weil jede neue Erkenntnis neue Abgründe öffnet.
Besonders stark: Der Film verweigert einfache Antworten. Stattdessen entsteht das Gefühl eines Kontrollverlusts – für die Figuren ebenso wie für das Publikum. Der Albtraum ist hier kein lauter, sondern ein kalter, erdrückender.

Sind einem Drogentransport in großem Stil auf der Spur: Mario Schmitt (Denis Moschitto, l.) Falke (Wotan Wilke Möhring, M.) und Lynn de Baer (Gaite Jansen).
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Zwei Filme, ein Gefühl: Dauerstress statt klassischer Spannung
Als Doppelfolge funktionieren „Ein guter Tag“ und „Schwarzer Schnee“ vor allem über ihre gemeinsame Wirkung. Zusammen erzählen sie keinen Krimi im klassischen Sinn, sondern eine psychologische Abwärtsspirale. Wer Action, schnelle Wendungen oder klare Heldenmomente erwartet, wird hier nicht fündig.
Stattdessen setzt der Tatort auf:
- emotionale Erschöpfung
- moralische Grauzonen
- eine Atmosphäre permanenter Anspannung
Gerade die Länge der Doppelfolge verstärkt diesen Effekt. Nach dem ersten Film gibt es kein echtes Durchatmen – der zweite Teil zieht die Schraube weiter an.
Schauspiel: Getragen von Intensität und Zurückhaltung
Die Doppelfolge lebt stark von ihren Darstellern. Die Hauptfiguren wirken zunehmend erschöpft, innerlich zerrissen, teilweise überfordert. Genau diese Zurückhaltung macht die Leistung glaubwürdig. Hier wird nicht gespielt, um zu glänzen, sondern um einen Zustand zu transportieren.
Auch die Nebenfiguren tragen entscheidend zur bedrückenden Stimmung bei. Niemand wirkt eindeutig schuldig oder unschuldig. Jeder scheint etwas zu verbergen, jeder trägt sein eigenes Gewicht mit sich herum. Das verstärkt den Eindruck, dass es in dieser Geschichte keine einfachen Wahrheiten gibt.

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Inszenierung: Kälte, Stillstand, Dunkelheit
Visuell bleibt die Doppelfolge konsequent. Gedämpfte Farben, kühle Bilder, wenig Musik – vieles wirkt wie eingefroren. Besonders „Schwarzer Schnee“ setzt auf diese Kälte als Stilmittel. Die Umgebung scheint den inneren Zustand der Figuren widerzuspiegeln: leer, hart, unnachgiebig.
Die Regie vertraut darauf, dass das Publikum diese Stimmung aushält. Das ist mutig – und nicht für jeden angenehm.
Fazit: Anspruchsvoll, fordernd – aber konsequent
„Ein guter Tag / Schwarzer Schnee“ ist kein Tatort für einen entspannten Sonntagabend. Die Doppelfolge verlangt Aufmerksamkeit, Geduld und emotionale Belastbarkeit. Wer sich darauf einlässt, erlebt einen ungewöhnlich konsequenten Krimi, der lange nachwirkt. Wer klassische Unterhaltung sucht, dürfte sich überfordert fühlen.
Ein Tatort, der nicht unterhalten will – sondern wirken.
Stark gespielt, konsequent inszeniert, atmosphärisch dicht – aber schwer verdaulich und bewusst sperrig. Als Doppelfolge mutig, als Fernseherlebnis fordernd.
⭐⭐⭐☆☆ (3 von 5 Sternen)
Sendeinfos: Wann läuft die Tatort-Doppelfolge?
Die beiden Filme bilden eine zusammenhängende Doppelfolge und werden direkt hintereinander ausgestrahlt.
Tatort: Ein guter Tag / Schwarzer Schnee
Sonntag, [Datum einsetzen], ab 20.15 Uhr im Ersten
- 20.15 Uhr: Ein guter Tag
- 21.45 Uhr: Schwarzer Schnee
Beide Filme sind in der ARD-Mediathek abrufbar und können dort auch unabhängig voneinander gestreamt werden.
Besetzung
Bibi Fellner – Adele Neuhauser
Moritz Eisner – Harald Krassnitzer
Meret Schande – Christina Scherrer
Gerichtsmediziner Kreindl – Günter Franzmeier
Anna – Elfriede Schüsseleder
Fritz – Johannes Silberschneider
Sandra – Martina Spitzer
Horst Windisch – Michael Edlinger
Linda Filipovic – Gabriela Garcia-Vargas
Patricia Quiambao – Nina Fog
Ivica Djuric – Aleksandar Petrovic
Danijel Filipovic – Roman Frankl
Ramona – Claudia Kottal
Kurti – Werner Brix
Stab
Buch: Roland Hablesreiter, Petra Ladinigg
Regie: Harald Sicheritz
Kamera: Thomas Kürzl
Musik: Lothar Scherpe
Produktion: ORF
