Das ist kein Glücksfund. Das ist das Protokoll eines beispiellosen Verwaltungs-Versagens. Die Entdeckung ist keine Chance, sondern das erschütternde Symptom eines Systems, das anscheinend die Kontrolle verloren hat.
Die Anatomie des Scheiterns: Ein Fehler von 2005
Die Wurzeln dieses Desasters reichen zurück bis ins Jahr 2005. Damals stellte die Kultusverwaltung ihre Personal-Software um. Bei der Datenübertragung in das neue System namens „DIPSY-Lehrer“ muss der ursprüngliche Fehler passiert sein. Ein Jahr später, 2006, kam eine große Tarifumstellung im öffentlichen Dienst hinzu. Spätestens hier hätte eine grundlegende Überprüfung stattfinden müssen.
Doch es passierte: nichts.
Statt die Datenbasis jemals neu und vollständig zu ermitteln, wurde der fehlerhafte Stand einfach fortgeschrieben. Jahr für Jahr. Regierung für Regierung. Minister für Minister. Es ist, als würde man ein Bankkonto führen, ohne jemals die tatsächlichen Ein- und Ausgänge zu prüfen – fast 20 Jahre lang. Dieses unfassbare Versäumnis blieb unentdeckt, weil offenbar niemand die wichtigste aller Fragen stellte: Stimmen unsere Zahlen überhaupt?
Die bittere Wahrheit: 1.440 verpasste Chancen für unsere Kinder
Diese Panne ist mehr als nur eine peinliche Statistik. Sie ist eine Tragödie der verpassten Gelegenheiten. Während Schulleiter händeringend nach Personal suchten und die Politik die Chronik des Lehrermangels in BW mit immer neuen Hiobsbotschaften fortschrieb, hätten mit diesen 1.440 Stellen tausende Unterrichtsstunden gerettet werden können. Kleinere Klassen, mehr Förderung, weniger Ausfall – all das wäre möglich gewesen.
Stattdessen existierten diese Stellen nur als digitale Geister in einem Server des Landesamtes für Besoldung (LBV). Es ist ein Schlag ins Gesicht für jeden engagierten Lehrer, jeden besorgten Elternteil und jeden Schüler, der unter dem Lehrermangel leiden musste.
Krisenmodus statt Jubel: Die späte Aufarbeitung
Dass der Fehler nun ans Licht kam, ist keinem genialen Plan zu verdanken, sondern offenbar dem Zufall, weil es in Einzelfällen zu „Unstimmigkeiten“ kam. Erst daraufhin wurde eine neue Software zur Überprüfung eingesetzt, die den Skandal im Juni 2025 aufdeckte.
Jetzt herrscht hektische Betriebsamkeit. Eine Arbeitsgruppe mit dem Finanzministerium und dem Rechnungshof soll das Chaos aufarbeiten. Doch das kann nicht über die eigentliche Frage hinwegtäuschen: Wer trägt die politische Verantwortung für zwei Jahrzehnte der Schlamperei?
Das offizielle Statement des Ministeriums klingt nach Schadensbegrenzung:
„Das Kultusministerium wird nun schnellstmöglich einen Plan erstellen, wie die Stellen effektiv an den Schulen eingebracht werden können. Sämtliche Stellen sollen der Unterrichtsversorgung zugutekommen.“
Dieser Plan kommt 20 Jahre zu spät. Die Entdeckung der 1.440 Stellen ist kein Grund zum Jubeln. Sie ist der schmerzhafte Beweis, dass an der Spitze der baden-württembergischen Bildungspolitik über Jahre hinweg offenbar niemand mehr den Überblick hatte.