Ein Abschied, der unter die Haut geht
Er war über Jahrzehnte das Gesicht des Samstagabends, der Meister der Improvisation, der Mann mit dem goldenen Mikrofon. Nun ist er 75 Jahre alt – und geht, wie er es angekündigt hatte: mit Stil, mit Humor, aber auch mit spürbarer Wehmut. Schon beim Betreten der Bühne war klar, dass dieser Abend anders werden würde. Kein krachendes Showfinale, keine pompöse Inszenierung, sondern ein leiser, persönlicher Abschied.
Barbara Schöneberger und Günther Jauch führten durch das Programm, beide sichtbar bewegt, während Gottschalk sich ungewohnt zurückhielt. Nur gelegentlich blitzte sein typischer Witz auf – etwa, als er über sein Outfit scherzte: „Ich war schon immer der bestangezogene unter den Kollegen und zieh das durch bis zur letzten Show.“ Ein Satz, der ein Schmunzeln in den Saal brachte, aber auch den Ernst des Moments nicht ganz überdeckte.

Foto: RTL / Julia Feldhagen
Es war ein Abend, an dem Gottschalk noch einmal zeigte, warum er über Jahrzehnte die Menschen vor die Bildschirme zog: Er konnte berühren, ohne sentimental zu werden. Er konnte witzig sein, ohne laut zu werden. Und er konnte sich verabschieden, ohne Drama – aber mit Haltung.
Tränen, Musik und letzte Worte
Der emotionale Höhepunkt kam um 22.14 Uhr – die Uhrzeit, die in den sozialen Netzwerken bald zur Symbolminute wurde. Gottschalk erhob sich, klatschte Fans im Publikum ab, bedankte sich bei seinen Kollegen und ging, ganz bewusst, die Show-Treppe hinauf. Es war eine symbolische Geste: Der Mann, der jahrzehntelang die Showtreppe hinunterging, um das Publikum zu begrüßen, steigt sie nun hinauf – hinaus aus dem Rampenlicht.
„Das sieht man nicht oft im deutschen Fernsehen: Ein Mann geht in Rente. Er geht tatsächlich“, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln, das sich in Millionen Köpfen einbrennen dürfte. Im Publikum saß seine Frau Karina, die ihm mit Tränen in den Augen ein Herzzeichen zuwarf – ein stiller, rührender Moment, der den ganzen Abend zusammenfasste.
Dann erklang „Rockin’ All Over the World“ von Status Quo – der perfekte Soundtrack für einen Mann, der über Jahrzehnte genau das getan hatte: die Welt des Fernsehens zum Schwingen gebracht.
Mike Krüger und die letzte Supernase
Es war ein Abschied mit Freunden. Und einer durfte natürlich nicht fehlen: Mike Krüger, Gottschalks langjähriger Weggefährte aus den legendären „Supernasen“-Filmen der 1980er-Jahre. Krüger griff zur Gitarre und sang für seinen Freund eine umgedichtete Version seines Hits „Mein Gott, Walter“ – nun „Mein Gott, Thomas“.
Doch selbst dieser bewegende Moment war nicht perfekt: Krüger vergaß den Text. Zwei Mal musste er ansetzen, bevor das Lied gelang. „Wie geht es weiter? Mein Gott, bin ich doof“, sagte er lachend – und Gottschalk konterte trocken: „Wahrscheinlich hab’ ich früher genauso moderiert.“ Es war einer dieser kleinen, echten Momente, die die beiden verbindet – unprätentiös, menschlich, ehrlich.

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Das Publikum stand, jubelte, viele hatten Tränen in den Augen. Gottschalk lächelte, applaudierte seinem Freund – und schien für einen kurzen Moment einfach glücklich. Es war kein Showmoment, sondern ein menschlicher. Der Moment, in dem ein großer Entertainer noch einmal nur Mensch sein durfte.
Ein Showmaster zeigt sich verletzlich
Der Abend war nicht nur ein Rückblick auf eine beispiellose Karriere, sondern auch ein Einblick in Gottschalks aktuelle Lebensrealität. Offen sprach er über seine Krebserkrankung, ein epitheloides Angiosarkom – eine seltene, aggressive Form von Krebs. Mit beeindruckender Offenheit erklärte er, dass die Operation gut verlaufen sei, dass sein PSA-Wert auf null gesunken sei und er nun auf Genesung hoffe.
„Ich gehe die Dinge positiv an“, sagte er ruhig, „man kann Daumen drücken und hoffen, dass es weg ist.“ Günther Jauch, der ihn schon seit Jahrzehnten kennt, hörte sichtlich bewegt zu. Zwischen beiden Männern, sonst für ihre humorvolle Dynamik bekannt, entstand ein Moment stiller Verbundenheit. Kein Pathos, kein Mitleid – nur Respekt.

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Gottschalk sprach auch über seine jüngsten Auftritte, bei denen er wegen starker Schmerzmittel etwas verwirrt gewirkt hatte. „Ich habe diesen Brainfog, wie man das nennt – so eine Art Nebel im Kopf“, erklärte er, mit der Ehrlichkeit eines Mannes, der nichts mehr zu beweisen hat.
Es war ein Moment, der zeigte, dass der große Showmann nicht nur Glamour und Gags kannte, sondern auch Mut zur Verletzlichkeit.
Reaktionen zwischen Rührung und Wehmut
Die Zuschauerinnen und Zuschauer reagierten emotional – im Studio wie auch im Netz. „So ruhig und teils abwesend habe ich ihn noch nie gesehen“, schrieb ein Nutzer auf X (ehemals Twitter). „Es tut weh, Gottschalk so zu sehen. Auch wenn man weiß, was jetzt los ist.“ Viele sprachen von einem „Abend wie eine Trauerfeier“, andere lobten den Mut des Moderators, seine Grenzen zu akzeptieren.
Manche kritisierten, dass RTL dem Show-Titan keinen pompöseren Rahmen geboten habe, dass der Abschied zu unspektakulär gewesen sei. Doch genau darin lag vielleicht seine Größe: Gottschalk wollte keine Show um seine Person. Kein Feuerwerk, kein Finale mit Pauken und Trompeten – sondern ein ehrlicher, ruhiger Abschied.
Er wusste, dass echte Unterhaltung nicht in der Lautstärke liegt, sondern in der Nähe. Und diese Nähe spürten die Menschen an diesem Abend.
Ein Entertainer, der Geschichte schrieb
Seit seiner ersten „Wetten, dass..?“-Sendung 1987 war Thomas Gottschalk mehr als nur ein Moderator – er war ein Phänomen. Mit seiner Spontaneität, seinem Charme und seinem Hang zum Unvorhersehbaren schuf er Fernsehgeschichte. Seine Shows waren Lagerfeuerabende für Millionen. Er war jemand, der in Zeiten von Streaming und Social Media noch das vereinte, was heute oft fehlt: gemeinsames Erleben.

Foto: Von © Superbass / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons), CC BY-SA 4.0, Link
Über fünf Jahrzehnte lang stand Gottschalk auf Bühnen, im Radio, vor Kameras – und immer mit demselben Anspruch: Menschen zu unterhalten, zu verbinden, Freude zu schenken. Er war nie perfekt, nie aalglatt. Aber er war echt. Und das machte ihn unsterblich.
„Alles, was ich gemacht habe, habe ich nur für die Leute getan“, sagte er an diesem Abend zu Jauch. Es war kein Satz fürs Protokoll, sondern ein Lebensmotto.

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Der König des Samstagabends geht – aber nicht verloren
Als gegen Mitternacht die letzten Töne verklangen, fiel Gold-Konfetti von der Decke. Gottschalk stand kurz still, blickte ins Publikum und sagte leise: „Servus.“ Kein großes Pathos, kein dramatisches Finale – nur ein ehrliches Dankeschön. Er lächelte, küsste seine Frau Karina, winkte dem Publikum. Dann ging er – und ließ ein Kapitel zu Ende gehen, das in der deutschen Fernsehgeschichte seinesgleichen sucht.

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Thomas Gottschalk geht als einer der letzten echten Entertainer. Einer, der sagte, was er dachte, manchmal sogar, bevor er wusste, dass er es denkt. Einer, der immer wieder aufstand, wenn er mal fiel. Einer, der uns gezeigt hat, dass Unterhaltung nicht oberflächlich sein muss, sondern zutiefst menschlich.
Ein Vermächtnis aus Nähe, Witz und Herz
Sein Rückzug markiert das Ende einer Ära – und den Beginn seiner wohlverdienten Ruhe. „Mit 75 ist, glaube ich, der richtige Zeitpunkt, wenn man sagt: Ich ziehe mich zurück“, erklärte er. Angst vor Langeweile habe er nicht. Und wenn doch, sagte er schmunzelnd, „dann ruf ich einfach den Jauch an“.

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Gottschalk hinterlässt mehr als nur Shows. Er hinterlässt Erinnerungen. An einen Moderator, der keine Maske brauchte, um zu glänzen. An einen Menschen, der das Publikum nie als Kulisse, sondern als Herz seiner Arbeit verstand.
Er geht – aber seine Stimme, sein Lächeln, sein goldener Anzug und seine unnachahmliche Spontaneität werden bleiben. Denn Thomas Gottschalk war mehr als ein Moderator. Er war ein Gefühl.
Ein Gefühl, das man vielleicht am besten so beschreibt: Ein Mann geht die Treppe hinauf – und lässt Licht zurück.



