15 Minuten, die Deutschland nicht vergessen wird

„Joko & Klaas schenken ihre 15 Minuten den Hebammen und zeigen das stille Drama in Deutschlands Kreißsälen

Keine Show, kein Witz, kein Lachen – diesmal war alles anders. In ihrer gewonnenen Live-Sendezeit gaben Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf ihre berühmten „15 Minuten“ an eine Berufsgruppe, die sonst kaum jemand hört: die Hebammen.
„Joko & Klaas schenken ihre 15 Minuten den Hebammen und zeigen das stille Drama in Deutschlands Kreißsälen
„Joko & Klaas schenken ihre 15 Minuten den Hebammen und zeigen das stille Drama in Deutschlands Kreißsälen
Joko Winterscheidt (l.); Klaas Heufer-Umlauf (r.)
© Joyn / Nadine Rupp

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Statt Unterhaltung gab es Realität. Statt Applaus gab es Stille. Und am Ende blieb ein bedrückender Eindruck: Die Geburtshilfe in Deutschland steht am Rand des Kollapses.

Ein Beruf am Limit

Seit Anfang November gilt ein neues Abrechnungssystem für Hebammen, das ihre Arbeit grundlegend verändert. Tätigkeiten im Kreißsaal müssen nun minutengenau dokumentiert und einzeln abgerechnet werden. Das Ziel: mehr Transparenz. Die Folge: mehr Bürokratie und weniger Einkommen.

Viele freiberufliche Hebammen berichten, dass sie rund ein Drittel weniger verdienen als zuvor. Besonders betroffen sind jene, die in Kliniken arbeiten – dort, wo ohnehin Personalmangel herrscht. Die Reform trifft sie mitten im ohnehin angespannten Alltag.

Viele überlegen, den Beruf ganz aufzugeben oder sich auf andere Bereiche zu konzentrieren – etwa Kurse, Vor- und Nachsorge. Andere ziehen sich aus der Geburtshilfe zurück, weil sie die Arbeitsbedingungen nicht mehr tragen können.

Immer weniger Betreuung für Mütter

Der Mangel an Hebammen zeigt sich inzwischen überall: in den Kreißsälen, auf den Wochenstationen, in der häuslichen Nachsorge. Eine bundesweite Studie bestätigt, dass jede fünfte Mutter in Deutschland keine Nachsorgehebamme findet.

Fast jede zweite Frau ohne Betreuung gibt an, dass es schlicht keine freie Hebamme in erreichbarer Nähe gab. Besonders junge Mütter unter 30 Jahren sind davon betroffen. Viele wissen zudem gar nicht, dass sie einen gesetzlichen Anspruch auf Hebammenhilfe haben – während andere zu spät mit der Suche beginnen.

Die Folgen sind gravierend: Immer mehr Frauen müssen die erste Zeit nach der Geburt allein bewältigen – ohne professionelle Begleitung, Beratung oder emotionale Unterstützung. Statt individueller Betreuung suchen viele Rat im Internet, bei Freunden oder im Kinderarzttermin.

Zwischen Verantwortung und Bürokratie

Der Beruf der Hebamme galt lange als einer der sinnstiftendsten überhaupt. Nähe, Vertrauen und Menschlichkeit standen im Mittelpunkt. Heute ist davon oft wenig übrig. Der Alltag ist geprägt von Formularen, Abrechnungsbögen und digitalem Papierkrieg.

Die neue Regelung zwingt viele Hebammen dazu, ihre Arbeit in Zeiteinheiten aufzuteilen, statt sich auf die Frauen zu konzentrieren. Wer gleichzeitig zwei Geburten betreut, wird dafür kaum angemessen bezahlt. Gleichzeitig steigen die Haftpflichtkosten, was die wirtschaftliche Situation zusätzlich verschärft.

Das Ergebnis: weniger Zeit für die werdenden Mütter, mehr Stress für die Fachkräfte – und ein Beruf, der immer unattraktiver wird.

Wenn Geburtshilfe zur Belastung wird

Auch in den Kliniken wird die Lage zunehmend kritisch. Durch Personalmangel und steigenden Kostendruck müssen Teams oft an der Grenze arbeiten. Gleichzeitig wächst die Verantwortung: jede Geburt, jede Komplikation, jede Entscheidung – in einem Umfeld, das immer weniger Sicherheit bietet.

Viele Hebammen empfinden ihren Beruf mittlerweile nicht mehr als erfüllend, sondern als Belastung. Sie arbeiten unter enormem Druck, oft nachts, mit unregelmäßigen Diensten und kaum Planbarkeit. Besonders für junge Frauen mit Familie ist das kaum vereinbar. Die Folge: Ausstieg, Überlastung, Frustration.

Gesellschaft am Wendepunkt

Die Krise in der Geburtshilfe ist kein Randthema, sondern ein strukturelles Problem. Sie zeigt, wie lückenhaft das Gesundheitssystem geworden ist – vor allem dort, wo Menschlichkeit eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte.

Der Mangel an Hebammen ist ein Symptom dafür, dass Pflege, Betreuung und Fürsorge in Deutschland zu wenig wertgeschätzt werden. Geburtshilfe ist keine Luxusleistung, sondern der Beginn des Lebens – und sie braucht Rahmenbedingungen, die das widerspiegeln.

Joko & Klaas setzen ein Zeichen

Mit ihrer Aktion gaben Joko und Klaas diesem Problem eine Bühne, die es dringend braucht. Ihre „15 Minuten“ waren kein Unterhaltungsformat, sondern ein gesellschaftlicher Weckruf. Millionen Zuschauer sahen, was sonst hinter Krankenhauswänden verborgen bleibt: Überforderung, Erschöpfung und ein Beruf, der von Idealismus lebt – aber an der Realität scheitert.

Die beiden Moderatoren zeigten, wie wichtig es ist, über die Arbeit der Hebammen zu sprechen. Sie machten klar, dass Geburtshilfe mehr ist als eine medizinische Dienstleistung. Es geht um Vertrauen, Würde und Begleitung in einem der sensibelsten Momente des Lebens.

Mit ihrer Entscheidung, den Hebammen ihre Sendezeit zu widmen, setzten sie ein Zeichen gegen das Vergessen – und für mehr Respekt gegenüber jenen, die tagtäglich Leben begleiten.

Ein Appell an Politik und Gesellschaft

Die Botschaft, die bleibt, ist einfach, aber deutlich: Hebammen dürfen nicht länger am Limit arbeiten. Sie brauchen faire Bezahlung, weniger Bürokratie und Unterstützung, um ihren Beruf auch in Zukunft ausüben zu können.

Wenn Deutschland Familien stärken will, muss es dort beginnen, wo alles anfängt – bei der Geburt. Joko und Klaas haben das Thema aus der Stille geholt. Jetzt ist es an der Politik, hinzuhören und zu handeln.

Denn eines wurde in diesen 15 Minuten klarer als je zuvor: Ohne Hebammen gibt es keine Geburtshilfe – und ohne Geburtshilfe keine sichere Zukunft.

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