Die Nachricht – und was sie bedeutet
Cardinale stand für sechs Jahrzehnte Kino: über 100 Filme, Rollen zwischen kompromissloser Stärke und melancholischer Eleganz. Würdigungen kommen aus ganz Europa: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Kulturminister Alessandro Giuli hoben ihre Größe und Anmut hervor.
Vom Tunis an den Lido – und ins Licht
Geboren 1938 in La Goulette (Tunis) als Tochter sizilianischer Eltern, sprach sie zunächst Französisch, Arabisch und den sizilianischen Dialekt. Mit 16 gewann sie den Titel „Die schönste Italienerin in Tunis“, als Preis ging es zum Filmfest Venedig – der Start einer Weltkarriere. Ihr starker Akzent führte anfangs dazu, dass sie in Italien synchronisiert wurde.
Doppeldurchbruch 1963: Fellini & Visconti
1963 wurde ihr Jahr: Als Traumfrau in Federico Fellinis 8½ und als verführerische Angelica in Luchino Viscontis Der Leopard tanzte sie sich – unvergessen – mit Burt Lancaster durch einen Ball, der Filmgeschichte schrieb. Über die Arbeit mit beiden Regie-Giganten sagte sie später: „He couldn’t shoot without noise. With Visconti, the opposite, like doing theatre. We couldn’t say a word. Very serious.“
Hollywood, Leone – und die Rolle ihres Lebens
Auch Hollywood rief: Der rosarote Panther (Blake Edwards) brachte sie ins internationale Rampenlicht, endgültig unsterblich wurde sie als Jill in Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod. Neben Henry Fonda, Charles Bronson und Jason Robards bekam sie Close-ups, die ihr Charisma zementierten.
„Nach Spaghetti Italiens beste Erfindung“
Mit britischem Humor adelte sie David Niven am Pink Panther-Set: „Claudia, along with spaghetti, you’re Italy’s greatest invention.“ Ein Kompliment, das sie zeitlebens begleitete.
Stärke trotz Trauma – und der Wille zur Unabhängigkeit
Ihr Weg war nicht leicht: Als Teenager erlebte sie sexualisierte Gewalt; die späte Erkenntnis einer Schwangerschaft während Dreharbeiten stellte ihr Leben auf den Kopf. Ihren Sohn Patrick gab sie zunächst als „Bruder“ aus – aus Schutz, aus Not. Gerade daraus speiste sich ihr Antrieb, wirtschaftlich unabhängig zu sein und die Kontrolle über ihre Karriere zu behalten.
Partner, Familie, später Ruhm
Beruflich gefördert und privat kontrolliert: Produzent Franco Cristaldi war Mentor und später ihr Ehemann; in den 70ern folgte die lebenslange Beziehung zu Regisseur Pasquale Squitieri, mit dem sie Tochter Claudine bekam. Später arbeitete sie wieder überwiegend in Europa, lebte in Paris und blieb bis ins hohe Alter aktiv – zuletzt u. a. in der Schweizer Serie Bulle (2020) und im Drama The Island of Forgiveness (2022).
Auszeichnungen & Engagement
Cardinale wurde u. a. mit dem Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig für ihr Lebenswerk geehrt und erhielt 2002 den Goldenen Ehrenbären der Berlinale. Seit 2000 war sie UNESCO-Sonderbotschafterin für Frauenrechte – eine Rolle, die sie ernst nahm und sichtbar lebte. „I don’t want to stop“, sagte sie 2013 über ihre Arbeit.
Karriere in zehn Momenten (Zeitleiste)
- 1957 – Schönheitswettbewerb in Tunis, Reise zum Filmfest Venedig
- 1958/59 – Erste Rollen (Goha, I soliti ignoti / Diebe haben’s schwer)
- 1960–62 – Literarische Stoffe mit Mauro Bolognini formen die Star-Persona
- 1963 – Doppelkulmination: 8½ und Der Leopard (Palme d’Or)
- 1963 – Der rosarote Panther (Blake Edwards): globaler Durchbruch
- 1966 – The Professionals (Richard Brooks), von ihr oft als bestes Hollywood-Werk gewürdigt
- 1968 – Spiel mir das Lied vom Tod (Sergio Leone): Ikonischer Western-Mythos
- 1982 – Fitzcarraldo (Werner Herzog): europäische Autorenfilme bleiben Heimat
- 1990er – Lebenswerk-Ehren der großen Festivals, Rückkehr in Retrospektiven
- 2000 ff. – UNESCO-Botschafterin; weiterhin Rollen auf Bühne, TV und im Kino
Einordnung: Die ewige Europäerin
Cardinale blieb, trotz Hollywood-Erfolg, eine Schauspielerin des europäischen Autorenkinos – an der Schnittstelle von Glamour und Gravitas. Ihre Figuren waren selten nur Projektionsflächen; sie hatten Willen, Würde, Widerstand. Vielleicht, weil die Frau hinter ihnen genau das verkörperte.
„I don’t want to stop.“ – Claudia Cardinale, 2013