Die aktuellen Zahlen des Inkassodienstleisters Creditreform offenbaren eine besorgniserregende Entwicklung: Für das Jahr 2025 wird die Zahl der überschuldeten Bürgerinnen und Bürger über 18 Jahre auf 5,67 Millionen geschätzt. Dies entspricht einem Anstieg von 111.000 Fällen gegenüber dem Vorjahr und einer Erhöhung der Überschuldungsquote auf 8,16 Prozent.
Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, kommentiert die Lage mit deutlichen Worten: „Die Trendwende ist da – und sie kommt mit Ansage.“ Er erklärt, dass nach Jahren des „Angst-Sparens“ die finanziellen Rücklagen vieler Menschen aufgebraucht seien und die „Multikrise“ nun ihre volle Wirkung entfalte. Ein ähnlich starker Anstieg wurde zuletzt 2016 registriert, als rund 130.000 neue Überschuldungsfälle verzeichnet wurden.
Die neue Erhebung zeigt, dass nicht nur traditionelle Risikogruppen betroffen sind. Erstmals seit Jahren nimmt die Überschuldung quer durch fast alle sozialen Schichten zu. Besonders auffällig ist die Entwicklung bei sogenannten „Lifestyle-Überschuldeten“ und „Überschuldungspragmatikern“. Hierbei handelt es sich um Personen mit mittlerem oder sogar überdurchschnittlichem Einkommen, die versuchen, ihren gewohnten Lebensstandard durch Ersatz- oder Nachholkonsum aufrechtzuerhalten, nachdem sie in den Vorjahren Verzicht geübt haben.
Hantzsch hebt hervor: „Überschuldung ist kein Randphänomen mehr.“ Er beobachtet, dass viele, die eigentlich gut situiert sind, ihre finanzielle Belastbarkeit unterschätzt haben. Dies betreffe zunehmend auch Menschen mit stabilen Einkommen und einem geregelten Alltag.
Eine weitere bemerkenswerte Entwicklung ist der gleichzeitige Anstieg von harter und weicher Überschuldung – ein Phänomen, das zuletzt 2017 in dieser Form auftrat. Die Zahl der juristisch relevanten Überschuldungsfälle, zu denen beispielsweise Vollstreckungen, Inkassoverfahren und Haftbefehle zählen, stieg um etwa 39.000 Fälle. Parallel dazu nahmen die weichen Überschuldungen, also anhaltende Zahlungsstörungen ohne unmittelbare rechtliche Konsequenzen, um 72.000 Fälle zu.
Bernd Bütow, Geschäftsführer von Creditreform, interpretiert diesen Doppelanstieg als „klares Warnsignal für die kommenden Jahre“: „Wenn beide Formen gleichzeitig steigen, spricht das für eine breite strukturelle Verschlechterung der privaten Finanzen.“ Er weist darauf hin, dass viele Verbraucher schleichend in die Überschuldung geraten, beginnend mit rückständigen Rechnungen, gefolgt von Mahnungen und schließlich juristischen Konsequenzen. Ein solcher gleichzeitiger Anstieg beider Überschuldungsformen wurde in den letzten 20 Jahren lediglich in den Jahren 2007, 2010, 2012 und 2017 beobachtet.
Besonders stark ist die Überschuldung bei jungen Menschen unter 30 Jahren und bei Senioren über 60 Jahren gestiegen. Jüngere Haushalte geraten oft durch Konsum, Kredite und Onlinekäufe in finanzielle Schwierigkeiten, während ältere Personen zunehmend unter steigenden Lebenshaltungskosten und begrenzten Renteneinkommen leiden.
Bütow spricht von einer „neuen Zweiteilung der Überschuldung“: Die Jungen stolpern über ihr Konsumverhalten, während die Älteren mit struktureller Knappheit konfrontiert sind. Beide Gruppen hätten kaum Spielraum für unvorhergesehene Ausgaben.
Die negative Entwicklung ist zudem flächendeckend: In 69 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte sind die Überschuldungsquoten 2025 gestiegen – doppelt so häufig wie im Vorjahr. Besonders betroffen sind wirtschaftlich angeschlagene Regionen in Nordrhein-Westfalen, aber auch Teile Bayerns und Sachsens verzeichnen Zuwächse. Dies markiert ein Novum nach Jahren des Rückgangs.
Creditreform führt die Ursachen des Anstiegs auf die nachlassende finanzielle Widerstandsfähigkeit vieler Haushalte zurück. Nach Jahren multipler Krisen – darunter die Pandemie, Energiepreise und Inflation – seien die Ersparnisse und Reserven vieler Verbraucher erschöpft.
„Viele haben die letzten Jahre mit erstaunlicher Disziplin überstanden“, so Bütow. „Aber jetzt zeigt sich: Resilienz ist keine unerschöpfliche Ressource. Die Rücklagen sind weg, das Vertrauen ist angeschlagen – und die Überschuldung kehrt zurück.“ Creditreform erwartet, dass sich dieser negative Trend auch 2026 fortsetzen wird. Steigende Zinsen, hohe Lebenshaltungskosten und ein schwächerer Arbeitsmarkt könnten die Situation weiter verschärfen. „Die Überschuldung droht wieder ein echtes gesellschaftliches Thema zu werden“, warnt Hantzsch.
(Mit Material der dts Nachrichtenagentur erstellt)


