Ein düsterer Auftakt: Zwei Tote, viele Fragen
Ein tragischer Doppelmord erschüttert Rostock:
Ein junger Mann sticht mitten in der Stadt eine Frau nieder – und tötet anschließend sich selbst.
Kurz zuvor hatte er eine SMS mit den Worten „Tu es!“ erhalten.
Diese Spur führt Kommissarin Melly Böwe (Lina Beckmann) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) zu einem Lehrer, der bereits in einen ähnlichen Fall verwickelt war.
Der Verdächtige, Sebastian Lange (Sebastian Jakob Doppelbauer), leugnet jede Schuld. Doch sein Verhalten ist unberechenbar – und sein Zorn gefährlich.
Schnell entsteht der Verdacht: Könnte er Jugendliche über ein Internetforum zu Selbsttötungen angestiftet haben?
© NDR/Boris Laewen
Zwei Kommissarinnen, ein Abgrund
Wie schon im Vorgängerfilm „Böse geboren“ knüpft Regisseur Ayse Polat an die persönliche Geschichte von Melly Böwe an.
Die Ermittlerin kämpft nicht nur mit einem rätselhaften Fall, sondern auch mit ihren eigenen Dämonen:
Ihre Tochter Rose hat den Kontakt abgebrochen, eine alte Schuld lastet auf ihr – und all das spitzt sich in diesem Film zu einem emotionalen Ausnahmezustand zu.
Ihre Kollegin Katrin König versucht, sie aufzufangen, während die Ermittlungen sie tiefer und tiefer in die Abgründe des Internets führen.
Dort, wo Einsamkeit, Gruppendruck und digitale Manipulation tödlich enden können.
Lina Beckmann brilliert – und überstrahlt alles
Was den Rostocker „Polizeiruf“ seit Jahren so besonders macht, ist seine ungeschönte Wucht.
Hier gibt es keine leichten Lösungen, kein Schwarz-Weiß.
Und in „Tu es!“ trägt Lina Beckmann den Film praktisch allein.
Ihre Darstellung zwischen Stärke und völliger Überforderung ist schlicht grandios –
selbst in den stillsten Momenten bleibt jede Geste, jeder Blick glaubwürdig.
Sie spielt Böwe als Frau, die im Dienst alles gibt, aber innerlich längst bricht.
Ein Auftritt, der ihr einen Grimme-Preis einbringen könnte – und der viele Hollywood-Krimis mühelos in den Schatten stellt.
© NDR/Boris Laewen
Ein Krimi mit Mut – aber auch Überladung
Autor Florian Oeller will viel:
Er verknüpft psychologische Familiengeschichten, Internetsucht, Schuld, Erziehung, Gewalt – und gleich zwei Todesfälle.
Das ist mutig, aber manchmal zu viel.
Zwischen emotionaler Wucht und thematischer Überfrachtung verliert der Film stellenweise den Fokus auf den eigentlichen Kriminalfall.
Doch was bleibt, ist ein Krimi, der mehr will als reine Unterhaltung.
„Tu es!“ stellt Fragen, die weh tun:
Wie beeinflusst digitale Kommunikation unser Mitgefühl?
Und wer trägt Verantwortung, wenn Worte töten können?
Starke Figuren, starkes Ensemble
Neben Beckmann überzeugt vor allem Sebastian Jakob Doppelbauer als gefährlich charismatischer Lehrer.
Er schwankt zwischen Mitleid und Bedrohung, Opfer und Täter –
eine Ambivalenz, die den Zuschauer ständig zweifeln lässt.
Auch Anneke Kim Sarnau als Katrin König beweist erneut, warum sie zu den besten Ermittlerinnen des deutschen Fernsehens gehört: ruhig, analytisch, verletzlich.
Gemeinsam mit Beckmann bildet sie eines der glaubwürdigsten Teams im deutschen Krimi-Kosmos.
Fazit: Kein leichter Abend, aber großes Fernsehen
Der neue „Polizeiruf 110: Tu es!“ ist kein klassischer Sonntagskrimi – er ist fordernd, unbequem und emotional aufgeladen.
Wer sich darauf einlässt, erlebt 90 Minuten psychologische Spannung auf höchstem Niveau, getragen von einer Ausnahmeleistung von Lina Beckmann.
Trotz kleiner erzählerischer Schwächen bleibt dieser Film ein starkes Plädoyer für komplexe Figuren und mutiges öffentlich-rechtliches Fernsehen.
Am Ende bleibt das Gefühl: Weniger Handlung hätte vielleicht mehr Wirkung gehabt – aber intensiver wurde Krimi selten gespielt.
Sendehinweis
- „Polizeiruf 110: Tu es!“
- Sonntag, 19. Oktober 2025
- 20:15 Uhr, Das Erste / ARD-Mediathek
- Regie: Ayse Polat
- Drehbuch: Florian Oeller
- Mit: Lina Beckmann, Anneke Kim Sarnau, Sebastian Jakob Doppelbauer, Kristina Pauls u. a.
- Laufzeit: 90 Minuten
- 🇩🇪 Produktion: NDR / ORF / ARD Degeto