Datenschutz oder Irrsinn?

Boris Palmer fassungslos: „Bürokratisches Ritual, das jeder Satire würdig wäre“ – Wie der Datenschutz jetzt selbst Geburtstagsgrüße verbietet

Boris Palmer fassungslos: „Bürokratisches Ritual, das jeder Satire würdig wäre“ – Wie der Datenschutz jetzt selbst Geburtstagsgrüße verbietet
Bild: Gudrun de Maddalena
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen – doch diesmal trifft er einen Nerv, der weit über Tübingen hinausreicht. Auf Facebook veröffentlicht er ein Bild eines Schreibens des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg. Der Vorwurf: Die Verwaltung habe einem Bürger öffentlich zum Geburtstag gratuliert – und damit angeblich gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstoßen. Was nach einer Provinzposse klingt, ist in Wahrheit ein Symbol für ein Land, das sich in seinem Regelwerk selbst verheddert.
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Ein Geburtstag wird zum Datenschutzfall

„Manchmal fragt man sich wirklich, ob Datenschutzbehörden noch wissen, wofür sie eigentlich da sind“, schreibt Palmer. Der Hintergrund: Die Stadt Tübingen hat – wie seit Jahrzehnten üblich – einem Bürger zum 75. Geburtstag gratuliert. Eine freundliche, öffentliche Geste, die im Amtsblatt erschien. Doch statt Freude kam Post von der Aufsichtsbehörde.
Ein Bürger habe sich beschwert, dass die Veröffentlichung seines Jubiläums einen unzumutbaren Eingriff in seine Privatsphäre darstelle. Nun fordert die Behörde eine Stellungnahme der Stadt – und prüft ein datenschutzrechtliches Verfahren.

Was bisher als harmloser Ausdruck von Wertschätzung galt, wird so zur bürokratischen Angelegenheit. Drei Zeilen im Amtsblatt reichen, um Akten, Prüfungen und Rechtstexte auszulösen. Palmer kommentiert das trocken: „Das ist kein Datenschutz mehr – das ist Bürokratismus im Endstadium.“

Wenn Glückwünsche zum Verwaltungsakt werden

Besonders absurd wird es bei der Forderung, künftig für jede öffentliche Gratulation eine schriftliche Einwilligung der betreffenden Person einzuholen – vorab, versteht sich.
Das bedeutet: Wer 70, 75 oder 80 wird, soll von der Stadt ein Formular erhalten, in dem er bestätigt, dass er öffentlich beglückwünscht werden darf. Ohne dieses Kreuzchen im Kästchen: keine Glückwünsche mehr.

Diese Praxis mag juristisch sauber sein, aber sie wirkt lebensfremd. In vielen Gemeinden gehörten solche Mitteilungen jahrzehntelang zur gelebten Kultur – als Zeichen der Verbundenheit, als kleines Stück Gemeinschaft. Was früher Freude stiftete, droht nun, im Paragraphendschungel zu ersticken.

Der Kern des Problems: Ein überdehntes Datenschutzverständnis

Niemand bestreitet, dass Datenschutz wichtig ist. Die DSGVO schützt sensible persönliche Informationen – etwa Gesundheitsdaten, Einkünfte oder politische Ansichten. Aber gilt das auch für das öffentliche Gratulieren eines Jubilars, dessen Alter ohnehin kein Geheimnis ist?

Genau hier, so Palmer, verliere die Verhältnismäßigkeit ihren Platz. Wenn der Datenschutz zu einem Selbstzweck wird, geht das ursprüngliche Ziel – der Schutz der Bürger – verloren. Statt Freiheit zu sichern, schafft er neue Fesseln. „Während wir in der Verwaltung täglich versuchen, echte Probleme zu lösen“, schreibt Palmer, „beschäftigt uns nun ein bürokratisches Ritual, das jeder Satire würdig wäre.“

Die Folgen: Frust, Zeitverlust und Entfremdung

Das Verfahren ist mehr als ein Einzelfall. Es steht sinnbildlich für eine Entwicklung, die immer mehr Bürgermeister und Verwaltungsmitarbeiter beklagen: den lähmenden Einfluss überbordender Regelwerke.
Jede Beschwerde, jedes Formular, jede neue Vorschrift bindet Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen – in Schulen, bei der Sanierung von Straßen oder in der Sozialarbeit.
Und während engagierte Mitarbeiter sich mit Papierkram herumschlagen, verlieren Bürger das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates.

Wenn Kommunen aus Angst vor Konsequenzen lieber gar nicht mehr gratulieren, trifft das letztlich alle: jene, die gerne eine öffentliche Anerkennung erhalten hätten, ebenso wie das soziale Klima vor Ort. Das Gemeinschaftsgefühl, das solche Gesten über Jahrzehnte gepflegt haben, droht zu verschwinden.

Palmer trifft einen Nerv – und viele stimmen zu

Unter Palmers Beitrag sammelten sich innerhalb weniger Stunden hunderte Kommentare. Viele Kollegen aus anderen Städten bestätigen, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Ein Stadtverordneter aus Hessen schrieb: „Ich musste einem Parteikollegen, der mir zum Geburtstag gratulieren wollte, im Vorfeld meine Genehmigung erteilen.“
Andere berichten, dass selbst Gratulationen zu Dienstjubiläen oder Geburten nur noch nach bürokratischer Freigabe möglich seien.

Zugleich gibt es Stimmen, die Palmer widersprechen: Datenschutz sei ein Grundrecht, das auch im Kleinen zu respektieren sei. Doch der Tenor ist eindeutig – viele empfinden die Situation als Beispiel dafür, dass in Deutschland der gesunde Menschenverstand auf der Strecke geblieben ist.

Zwischen Schutz und Absurdität

Das eigentliche Problem liegt im fehlenden Maß. Datenschutz darf nicht zum Selbstzweck werden. Er muss schützen, nicht lähmen. Eine Gesellschaft, die einfache Gesten wie eine Gratulation mit Verwaltungsakten belegt, verliert ihre emotionale Substanz.
Boris Palmers Appell, die Regelungen „wieder an der Realität auszurichten“, klingt deshalb weniger wie Empörung – und mehr wie ein Weckruf.

Denn wenn eine Stadt nicht einmal mehr gratulieren darf, braucht sie bald kein Amtsblatt mehr. Und ein Land, das so viel Angst vor Datenschutzverstößen hat, dass es Menschlichkeit vermeidet, verliert das, was Verwaltung eigentlich ausmacht: Nähe, Vertrauen und gesunden Menschenverstand.

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