Eine Mordserie, die Murot persönlich trifft
Frankfurt am Main wird durch mehrere Morde erschüttert. Männer werden mit präzisen Genickschüssen kaltblütig hingerichtet, und jedes Opfer führt die Ermittlungen näher zu einem Namen, der Murot kaum fremder und gleichzeitig kaum vertrauter sein könnte: Jochen Muthesius. Einst war er Murots Philosophieprofessor – heute ist er das dritte Mordopfer.

© WDR/HR/Bettina Müller
Muthesius‘ Leben ist zerbrochen: Seine Frau beging Suizid, seine Kinder drifteten in ideologische, berufliche und emotionale Extreme ab, und er selbst endete als Obdachloser auf Frankfurts Straßen. Doch ein Detail lässt Murot nicht los: Vor jedem Mord erhält er eine Lieferung, die er nie bestellt hat – versteckte Botschaften, die wie intellektuelle Haken wirken, tief hinein in sein eigenes Denken.
Der Täter spielt nicht Katz und Maus. Er spielt Schach. Und Murot ist die Figur, die zuletzt fallen soll.
Die Familie Muthesius – ein System kurz vor der Implosion
Was für andere ein Mordmotiv wäre, ist hier ein ganzes Panorama an Verletzungen. Die Kinder des getöteten Professors – Inga, Paul und Laura Muthesius – bilden einen innerlich zerfransten Mikrokosmos, in dem Loyalität längst keine Kategorie mehr ist. Jede Figur trägt eine andere Form von Schuld. Jede Entscheidung wirkt wie ein Echo einer Vergangenheit, die nie abgeschlossen wurde.
Murot erkennt schnell, dass er nicht nur ermittelt – er wird ermittelt. Die Familie blickt zurück. Und sie blickt auf ihn.

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Philosophie statt Polizeiarbeit
Regisseur Rainer Kaufmann inszeniert keinen klassischen TV-Krimi, sondern einen Tatort, der wie ein psychologisches Theaterstück funktioniert. Gespräche werden zu Schlachten, Sätze zu Messern, Gesten zu Urteilen. Die Kamera verweilt, bis es weh tut. Die Musik verstärkt das Gefühl, nicht nur eine Geschichte zu sehen – sondern hineingezogen zu werden.
Das ist kein Film, der „unterhält“.
Es ist einer, der fordert.
Bewertung: Fremd, fordernd – und faszinierend anders
„Murot und das Prinzip Hoffnung“ verlangt seinem Publikum Geduld ab – und belohnt genau diese Haltung. Dieser Tatort funktioniert nicht nebenbei. Er ist kein Fall, den man mit einem Blick löst. Er ist eine Einladung, sich einzulassen – oder abzuschalten. Ulrich Tukur spielt einen Ermittler, der nicht nur vor einer Mordserie steht, sondern vor seiner eigenen moralischen Zerreißprobe. Hier wird nicht einfach erzählt, hier wird gefragt – bohrend, unbequem und kompromisslos. Das Finale ist nicht laut, aber eindringlich; es setzt keinen klassischen Höhepunkt, sondern bleibt wie ein Stachel im Kopf zurück.

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Doch dieser Mut hat seinen Preis. Die Vielzahl philosophischer Referenzen, literarischer Zitate und symbolischer Schichten wirkt zeitweise wie eine intellektuelle Überladung. Manche Szenen scheinen eher für eine Theaterbühne als für Deutschlands Wohnzimmer gedacht, und wer auf den klassischen „Aha-Moment“ wartet, wird eher auflaufen als ankommen.
Unser Urteil: Für Fans der typischen Münster- oder Dortmund-Folgen mag dieser Film sperrig, irritierend und fast schon anmaßend wirken. Für alle anderen jedoch ist „Murot und das Prinzip Hoffnung“ einer der mutigsten, eigenwilligsten und nachhaltigsten Tatorte der Reihe – ein Stück Fernsehkunst, das sich weigert, sich anzubiedern.
9 von 10 Punkten.
Fazit: Ein Tatort, der bleibt
Dieser Film ist kein Krimi zum Wegkonsumieren. Er ist ein Gedankenraum. Ein Schlag gegen Gewissheiten. Ein Spiel mit Verantwortung und Verdrängung.
Kurz gesagt:
Kein Tatort, der den Abend begleitet – ein Tatort, der ihn definiert.
Tatort: Murot und das Prinzip Hoffnung
Heute, 20:15 Uhr im WDR
Erstausstrahlung: 21. November 2021
Einschaltquoten der Erstausstrahlung
Bei seiner Premiere am 21. November 2021 wurde „Murot und das Prinzip Hoffnung“ in Deutschland von 7,34 Millionen Zuschauern gesehen und erreichte einen Marktanteil von 22,3 Prozent. Ein starkes Ergebnis für einen anspruchsvollen, untypischen Tatort – und für viele damals ein Beweis, dass Murot-Folgen trotz Experimentierfreude ein breites Publikum erreichen
Besetzung
- Felix Murot – Ulrich Tukur
- Magda Wächter – Barbara Philipp
- Inga Muthesius – Karoline Eichhorn
- Paul Muthesius – Lars Eidinger
- Laura Muthesius – Friederike Ott
- Franziska von Mierendorff – Angela Winkler
- Jürgen von Mierendorff – Christian Friedel
- u. v. m.
Stab
Regie: Rainer Kaufmann
Drehbuch: Martin Rauhaus
Produktion: Patricia Vasapollo
Musik: Stefan Will
Kamera: Klaus Eichhammer
Schnitt: Stefan Blau
Produktion: HR / Deutschland
Ein Tatort, der nicht Antworten liefert – sondern die Fragen stellt, die man sonst vermeidet.




